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Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel
Autoren: Günther Bentele
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Glas. Um den schönen gusseisernen Pfeiler in der Mitte, einziges Überbleibsel der alten Dorfwirtschaft, waren Reben aus Plastik mit Trauben geschlungen. An den Wänden sah man Bilder von Ischia, Palermo und vom Vesuv. An der Decke hingen kupferne Lampen. Auf einem Brett standen noch einige der alten Bierkrüge mit dem Emblem der früheren Brauerei.
    Ich erinnerte mich noch an eine Reklametafel, die vor über einem halben Jahrhundert in der Nähe der Theke hing. Ein volles Glas Bier war abgebildet mit dem Namen einer Brauerei darauf.
    Zu lesen war:
    Am jüngsten Tage wird es klar
    Wie ehrlich unser Kronenwirt war
.
    Der Name »Kronenwirt« war am dafür vorgesehenen freien Platz mit Tinte eingetragen.
    Ein Witzbold hatte mit Kugelschreiber darunter geschrieben:
    Im Gegenteil, man wird es wissen
,
    Wie uns der Kronenwirt beschissen
.
    Die Tafel blieb viele Jahre an ihrem Platz hängen.
    Als einzige Gäste saßen am Nachbartisch zwei Frauen und zwei Männer mittleren Alters – offenbar keine Ehepaare – und unterhielten sich über Gymnastik, Abnehmen, einen aufgeblasenen Chef und Fußball.
    Auf der Speisekarte gab es nur deutsche Kost, wie Sauerbraten, gemischten Braten, Jägerschnitzel oder Forelle blau. Italienische Gnocchi Gorgonzola oder Spaghetti frutti di mare wären mir lieber gewesen. Ich nahm das Jägerschnitzel und dachte an den abgedroschenen Witz, woher die bloß die vielen Jäger nehmen. Mein Onkel war Jäger gewesen.
    Es gab in der
Krone
sogar vier Fremdenzimmer, drei waren frei, wie ich später erfuhr. Ich zog es vor, in Pfronstetten zu bleiben, und überlegte unsicher, ob ich mein Quartier nicht noch weiter entfernt am Traifelberg oder in Riedlingen aufschlagen sollte.
    Ich war unruhig und beschimpfte mich selbst: Ich merkte schon beim ersten Bissen, dass ich mich, ohne eigentliche Absicht, so gesetzt hatte, dass ich die Türe ständig im Auge behielt. War ich nicht sogar sprungbereit, um davonzustürzen nach Pfronstetten, mein Gepäck zusammenzuraffen, um diese Gegend nie wieder zu betreten?
    Andererseits: Hatte ich denn wirklich etwas zu verbergen? Waren nicht eher sie es, die Tigerfelder, die sich vor mir hätten verstecken müssen? Aber in keinem Dorf der Welt verstecken sich die Bewohner vor einem Einzelnen, der dazu noch von außen kommt.
    Und schließlich war ich freiwillig hier!
    Hatte auf dem Weg mich nicht die Landschaft umarmt, wie man ein Kind nach Jahren wieder in die Arme schließt?
    »Sie sind nicht von hier?«, fragte der Wirt, ein sizilianischer Typ mit älblerischem Akzent.
    »Nein«, sagte ich und fügte hinzu, weil mich der Teufel ritt: »Gewissermaßen.«
    »Entweder du bist aus einem Ort oder du wohnst da oder du bist fremd – was gibt es noch?«
    »Sie sind Sizilianer«, sagte ich, was ihn freute, dabei hätte ich genauso gut falsch liegen können, »und Ihre Heimat ist nun Tigerfeld, nicht?«
    »Einmal Sizilianer, immer Sizilianer«, sagte er und lachte. »Mazzuoli, Andrea«, ergänzte er und streckte die Hand aus. »Mein Vater ist vor fast fünfzig Jahren aus Sizilien nach Deutschland gekommen; ich bin in Mannheim geboren und in Pforzheim aufgewachsen. Aber mein Vetter lebt in Sizilien. Er baut Orangen an, wunderbare Blutorangen. Wenn Sie einmal nach Sizilien –« Er unterbrach sich, weil aus der Küche das Zeichen gekommen war, dass mein Jägerschnitzel fertig war. »Mein Sohn kocht«, sagte er, ein Tablett mit zwei Gläsern Bier in der Hand und den Teller mit meinem Schnitzel auf dem Arm, »er kocht sehr gut. Die Tochter hilft sonntags mit, ist aber heute in Reutlingen. Meine Frau liegt im Krankenhaus, schon seit sieben Wochen.«
    Sein Gesicht war düster geworden. Aber er fing sich schnell. Der gesprächige Mann freute sich sichtlich, dass er einen Gast hatte, der zuhörte, und blieb am Tisch stehen.
    »Kindheit in Deutschland, du verstehen.« Nun lachte er wieder. »Manchmal strenge ich mich an, als Ausländer erkannt zu werden. Dabei bin ich seit meiner Geburt deutscher Staatsbürger. – Geschäfte?«, fragte er wieder mit schwäbisch-badisch und gewollt sizilianischem Akzent. Verbesserte sich aber schnell und mit unsicherem Blick: »Nein, heute ist ja Sonntag.«
    Ich nickte. Ich nannte ihm meinen Namen, Dr. Fideler. Warum ich den Grund meiner Anwesenheit nicht nannte – es ist in dieser Geschichte so vieles unklar.
    »Was heißt gewissermaßen von hier, Herr Doktor?«, beharrte Andrea Mazzuoli.
    Er solle mich einfach Fideler nennen, sagte ich. Aber er beachtete
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