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Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel
Autoren: Günther Bentele
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Fideler, bitte!« Herr Mazzuoli wurde jetzt sehr eifrig. »Wir haben Gästezimmer, bitte sehr, drei sind noch frei.« Er redete hastiger, immer sizilianischer in der Gestik und immer älblerischer in der Aussprache. »Sie können gerne eines der Zimmer haben.«
    »Ich verstehe.« Ich nickte ihm zu. »Die Saison ist vorüber. Sie brauchen Gäste.«
    »Es geht mir nicht darum, nicht ums Geld, ich bitte Sie,« Herr Mazzuoli zögerte,»Sie können das Zimmer umsonst haben.«
    »Ich bin nicht bestechlich«, lächelte ich freundlich.
    Was war da los?, überlegte ich, als ich die
Krone
verlassen hatte. Warum der Eifer des Herrn Mazzuoli? Ich sollte günstig aussagen für ihn. Ich war der Experte. Er wollte das Windrad.
    Welches Interesse hatte der sizilianisch-badisch-schwäbische Kronenwirt an dem Windrad, das sich über dem Ganswinkel erheben sollte?
    Das Windrad könnte doch dem Tourismus schaden, die Gegend verschandeln, die Ruhe stören – genügend Gründe für einen Wirt, gegen ein solches Unternehmen zu sein.
    Direkt gefragt hatte er mich nicht. Aber wahrscheinlich setzte er einfach voraus, dass ich derselben Meinung war wie er: Jeder ist für den VfB Stuttgart, da muss man es nicht erst lange noch betonen. Ein Wirt ist gewohnt, seine Gäste in die allgemeine Meinung einzubeziehen.
    Es war kalt geworden, als ich aus der
Krone
trat. Die Heizkraft der Sonne, die hie und da an den Rändern der jetzt gewaltigen Quellwolken immer noch grell aufschien, kam nicht mehr an gegen den böigen, kalten Nordwind. Die kommende Nacht würde sehr kalt werden; es würde aufklaren, eine kalte Sternennacht – es war Neumond – vielleicht, jetzt Ende September, sogar schon der erste Bodenfrost.
    Aber das war Sache der Kollegen vom Wetterdienst und hatte mit Windrädern und Dorfwirten nichts zu tun.
    Die Bundesstraße war jetzt am Sonntagnachmittag fast leer. Die meisten Autos kämen erst gegen Abend, aber noch bei Licht, wenn die Wanderer und Albausflügler wieder die Honauer Steige hinunterfahren würden, um am Abend nicht den Tatort zu versäumen.
    Ein paar Kinder spielten auf dem weiträumigen Hofplatz der Familie Pocherd; einige Frauen standen an der Einmündung der Straße nach Aichstetten. Sie redeten und machten zu den Dorfinformationen, die sie hingebungsvoll aufsaugten, Kommentare und bildeten daraus ihre Vorurteile und Meinungen.
    Auf mich achtete niemand.
    Es war mir recht und auch wieder nicht. Denn irgendwann heute oder in den nächsten Tagen würde ja die erste Begegnung mit den Tigerfeldern stattfinden, vor der ich mich mit fast kindischem Herzklopfen fürchtete wie ein Student vor dem Examen. Ich gebe das zu.
    Ich hatte keinen Grund, mich zu verstecken – aber ich hatte jeden Grund, mich zu fürchten.
    Drüben auf der anderen Seite der Straße erhob sich hinter ihren noch vollständigen gekalkten Wehrmauern die Kirche des Heiligen Stephanus, des gesteinigten Märtyrers, dessen rechte Hand zwei Wegstunden weiter im Kloster Zwiefalten aufbewahrt wird. Die Kirche ist im Innern ein Kleinod mit einer kostbaren hochbarocken Kreuzigungsgruppe.
    In dem engen Durchgangsportal zum winzigen Kirchhof stieß ich mit einem Mann zusammen. Er trug einen grünen Hut, sein Gesicht war mir beim ersten Anblick fremd. Es war auch schwer zu erkennen, weil im Augenblick die Sonne kräftig durch die Wolken brach und ich ihn gegen das Licht sah. War er jung? War er alt? Ein Junger würde mich nicht kennen. Es gab mir einen Ruck: Es war der alte Hochstecher, wenig älter als ich, der mir da unvermittelt entgegentrat.
    Er blieb stehen und spuckte aus. »Hat man dir nicht gesagt, Felix Fideler, dass du dich in Tigerfeld nicht mehr blicken lassen sollst?«
    Seine Stimme hatte sich nicht geändert. Ich erkannte sie sogleich wieder. Eine Stimme, hell und schneidend kalt. Eine Stimme, ich hatte es schon früher oft gedacht, von der man sich nicht vorstellen kann, dass sie irgendwann im Leben etwas Zärtliches geflüstert haben könnte. Dieser Eindruck wurde auch durch das breite Älblerisch nicht gemildert.
    Es ist sinnlos, gegen ein Urteil der Öffentlichkeit anzukämpfen, das genügend Zeit hat, sich festzusetzen. Du kannst dagegen Sturm laufen, bis du aufgibst. Ich hatte bereits vor zwanzig Jahren aufgegeben. Nun waren diese zwanzig Jahre, vom alten Hochstecher aus gesehen, überhaupt nicht vergangen.
    Er drängte sich rücksichtslos an mir vorbei und verschwand Richtung Parkplatz.
    Ich war erschrocken, aber gleichzeitig erwachte in mir Trotz.
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