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Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel
Autoren: Günther Bentele
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nicht. Der aber hatte den Traktor erst wenige Wochen zuvor in der Werkstatt gewartet. Ein Fall äußerster Tragik, wurde amtlicherseits festgestellt, was ich auch heute nur unterstreichen kann. Der Mattheis freilich hätte einen Keil unterlegen müssen, aber wer legt schon an einem zwar steilen, aber doch winzigen Hang einen Keil unter? Und wirf das einem Vater vor, der gerade sein Kind verloren hat!
    Aber der Dorfschmied Hermann Fuchslocher, der Vater von Jörg Fuchslocher, wurde nun im Ort von allen gemieden. Sie brauchten ihn natürlich weiter für ihre Maschinen und Pferde, aber die wenigsten redeten mit ihm mehr, als zur Beschreibung eines Schadens und zur Bezahlung der Arbeit nötig war.
    Auch der Sohn Jörg hatte es schwer. In der Schule wurde er hin- und hergestoßen, ich hatte davon gehört. Jetzt stand er vor mir – eigentlich ein frischer Bursche, wenn auch schüchtern, und er brauchte meine Hilfe. Fühlte er sich darüber hinaus gerade mit mir verbunden, da er meine Geschichte kannte?
    »Jörg«, sagte ich und war mehr ergriffen, als ich gedacht hätte.
    Jörg war ein Opfer: Das Unglück war lange vor seiner Geburt geschehen.
    »Jörg«, wiederholte ich, »woher weißt du, wer ich bin?«
    »Alle sprechen darüber.« Er machte eine lange Pause. »Sie müssen uns helfen.«
    »Lebt dein Vater noch?«
    »Er ist letztes Jahr gestorben und meine Mutter vor vier Jahren. Ich will die Werkstatt weiterführen: Landtechnik, das ist die große Zukunft. Letztlich haben mein Vater und mein Großvater schon damals nichts anderes gemacht, wenn sie nicht gerade Pferde beschlagen haben. Und mein Großvater Dominikus Fuchslocher war schon zu seiner Zeit ein besserer Handwerker als mancher; und ich kann schmieden und schlossern, repariere Autos und Traktoren, auch Erntemaschinen, und habe Maschinenschlosser gelernt. Ich nehme es mit jedem Mechaniker und Mechatroniker auf zwischen Münsingen und Gammertingen und zwischen Reutlingen und Riedlingen.« Er redete eifrig und verschluckte sich ein paar Mal.
    »Und jetzt brauchst du Geld für eine neue Schmiede?«
    Was denn sonst?, dachte ich. Jeder braucht Geld, der einen Betrieb übernehmen und modernisieren will.
    »Der Betrieb ist ja längst keine Schmiede mehr. Mit Schmiedearbeit allein verdienst du heute kein Stück trocken Brot. Das meiste ist veraltet. Ich brauche neues und modernes Werkzeug, dazu ein paar Maschinen, ich will erweitern, eine neue Werkstatt, ein, zwei Gesellen, einen Lehrling!«
    Er hatte alles heftig herausgestoßen, sein schmales Gesicht, eher bleich, war feuerrot, die Haare hingen ihm in die Stirn. Der schmächtige junge Mann hatte sich nach vorne gebeugt, als wollte er mich an den Schultern fassen und schütteln. Er war wie ein kleiner Junge, der vom Christkind erzählt, das er gesehen hat, und gleichzeitig wie ein Mann, der genau weiß, was er will. Die Hände hatte er gefaltet. Hier stand einer, der die Chance seines Lebens sah und ergreifen wollte.
    »Und ich will heiraten«, setzte er leise hinzu.
    »Ja, ja, die Weiber brauchen Geld«, versuchte ich einen leichteren Ton anzuschlagen.
    Mein Windurteil würde Folgen haben. Und es war viel besser für die Qualität des Urteils, wenn ich diese Folgen nicht kannte, vor allem die persönlichen, die dem einen Glück und Reichtum bringen, dem anderen Friede und Ruhe, dem dritten Ruin und dem vierten das nehmen konnten, was er am meisten liebte. Ich aber war Wissenschaftler und wollte nicht Schicksal spielen.
    »Bitte«, sagte er ruhiger, »es ist meine letzte Chance.«
    Er ging mir voran auf den Hofplatz und hätte mich sicher gerne mit ins Haus genommen, aber er getraute sich nicht. Er erzählte mir von seinem Erbe, von Kapitalanlagen seines Vaters, und wie das Geld in der Krise weniger geworden war, aber immer noch genug, um es auf lange Sicht gewinnbringend anzulegen. Aber nur mit der Rendite, die das Windrad abwerfen würde, könne er seine Pläne verwirklichen und langfristige Kredite abbezahlen.
    »Die Banken bieten zu wenig und zu risikoreich; hat man ja gesehen. Die Windkraftanlage auf dem Ganswinkel bringt viel mehr und dauerhaft.«
    Durch die Subventionen berechenbarer und zuverlässiger. Das war ja die Absicht der Politik. Aber ebenfalls nicht ohne Risiken.
    Ich ließ den Blick über sein Anwesen gleiten: die alte Werkhalle seines Vaters, winzig für das, was Jörg sich erträumte. Die uralte Werkstatt des Großvaters stand ebenfalls noch.
    Ich kannte beide Gebäude von außen und innen. Wir
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