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Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel
Autoren: Günther Bentele
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hatten früher mit offenem Mund zugeschaut, wenn Pferde neu beschlagen wurden und dem Fauchen des Blasebalgs und dem Klingen des Ambosses gelauscht. Das Wohnhaus hatte einen frischen Anstrich, an den Grundmauern des ehemaligen Stalles war der Sockel neu gestrichen. Die ehemalige Scheune war rissig und grau mit schief hängendem Scheunentor.
    »Es ist schwer, eine Braut zu finden, die in einem so kleinen Nest leben will, die wenigsten Bauern finden eine. Schauen Sie sich ruhig einmal um, es ist ein Elend, und viele Höfe sterben allein deshalb. Aber fort will ich nicht.«
    Er sagte nicht, warum er nicht weg wollte. Aber ein zäher Trotz war da zu spüren, Trotz gegen den Rest des Dorfes. Er hatte laut geredet – Hass wurde hörbar.
    »Meine Franziska will bei mir bleiben, auch in Tigerfeld«, setzte er leise hinzu und sah auf den Boden wie ein Mädchen. »Wir leben bereits zusammen. Sie ist aber gerade bei ihren Eltern in Trochtelfingen.«
    Das hätte es früher im katholischen Tigerfeld nicht gegeben, dachte ich.
    Ich erfuhr weiter, dass ihn Fritz Pocherd, der größte Bauer im Ort – früher ein Freund von mir – dazu überredet hatte, mitzumachen und sein Geld in eine Gruppierung von Investoren einzubringen, welche die reichsten Bauern von Tigerfeld und den umliegenden Dörfern zusammen mit ein paar Reutlinger Geldgebern bilden wollten.
    Mit Anton Fendler hatte ich als Kind gespielt. Die Fendlers hatten ihren Hof bei der vor fast hundert Jahren längst zugeschütteten Alten Hüle mitten im Ort. Die neue Hüle außerhalb, nicht weniger stinkend, war schon vor über neunzig Jahren angelegt, aber vor mehr als zwanzig Jahren zugeschüttet worden – niemand brauchte angesichts der Albwasserversorgung mehr Hülen. Nur noch einige dickstämmige Eichen am Kettenacker Weg, ehemals die Uferbegrenzung, erinnerten heute noch an den Tümpel.
    »Du weißt schon«, sagte Anton, »du hast nicht nur Freunde hier – im Gegenteil. Ich sage es dir ganz offen.«
    Ich nickte.
    »Irgendjemand sagte, dass du kommst. Einige wussten es dann sicher: wegen dem Windrad.«
    Ich erzählte kurz von meiner Tätigkeit. Es liegt mir nicht, mit meiner Arbeit anzugeben.
    »Das ganze Dorf ist zerstritten.«
    Warum sollte Tigerfeld eine Ausnahme sein? Ich berichtete von anderen Fällen. Wir lachten sogar.
    Er begann von Gruppierungen zu berichten, die sich im Ort bildeten, von Feindschaften und seltsamen Freundschaften, von ungewohnter Herzlichkeit und von schlimmsten Beschimpfungen unter seitherigen Freunden.
    »Das Dorf ist vergiftet wie noch nie.«
    Die Stube, in der wir saßen, die Gute Stube, war schon Ende der fünfziger Jahre verändert worden.
    Ich erinnerte mich noch an den alten Ofen. Er stand auf einem gemauerten Sockel und wurde von der Küche aus beheizt. Über dem Steinsockel glänzte die schwarze Ofenplatte aus Wasseralfingen mit der Jahreszahl 1841 und dem Wappen des Königreiches Württemberg: den Hirschgeweihen und Löwen, dem Hirsch und dem gekrönten Löwen links und rechts, dem Helm mit der Königskrone darüber; das mühsam entzifferte Schriftband »Furchtlos und trew«. Ein Rechtschreibfehler! Erst als es den Ofen schon lange nicht mehr gab, begriff ich das Altertümliche der Schreibweise.
    An seiner Stelle erhob sich dann plötzlich ein cremefarbener Kachelofen.
    Die alten braunroten Vertäfelungen waren weiß gestrichen, Tapeten mit Blumenmustern auf den ehemals gekälkten Wänden. Immer noch der Vierfarbdruck »Der Hoferbe« mit Lederhosen, blonden Locken vor einer Wiese mit Schneebergen; ein weiterer Vierfarbdruck: Reh mit zwei Kitzen auf einer Lichtung äsend, Bock im Hintergrund; daneben Hochzeitsbilder, Kirchenchor- und Feuerwehrausflüge, Ansichtskarten. Der große Spiegel mit hineingesteckten Fotos und seinem schwarz lackierten Rahmen, die dahintergesteckte ausgebleichte Pfauenfeder. Trockenblumen, auch Bilder von Täuflingen und Erstkommunionen in Schnellrahmen. Neben einem modernen edelstählernen Barometer ein kleines schwarzsilbernes Kreuz und eine lustig bunt bemalte Aussägearbeit mit Thermometer. Eine braune Anrichte mit dem Fernseher darauf und einer Funkuhr.
    Trotz alter Freundschaft lag eine gewisse Verlegenheit über dem Gespräch.
    Seine Frau Gertrud brachte Kaffee und Kuchen. »Der Kuchen ist bloß gekauft, in Zwiefalten. Ich hatte keine Zeit, und ich wusste ja auch nicht, dass du kommst, Felix«, sagte sie. »Ich weiß doch, wie gerne du Kuchen isst, vor allem Zwetschgenkuchen, und die wären gerade
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