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Albach und Mueller 01 - Russische Seelen

Albach und Mueller 01 - Russische Seelen

Titel: Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
Autoren: Bronnenmeyer
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Stratege gewesen, sondern auch ein Träumer. Nur so war es möglich gewesen, dass Drugajew ihn gefunden hatte.
     
    Nikolai war vollkommen ahnungslos, als Jewgenji eines Abends im Frühsommer 1985 an seine Tür in Bernau klopfte. Er wirkte gehetzt und hatte ziemlich abgenommen seit ihrem letzten Treffen in Moskau vor zwei Jahren.
    »Sie schicken mich mit einer Geheimsache nach Prag«, hatte Jewgenji erklärt, »vorher musste ich noch in die Botschaft nach Berlin. Und da ist mir ein alter Freund eingefallen, den ich auf dem Weg besuchen könnte.«
    »Seit wann bist du Major?«, hatte Nikolai gefragt, während sie in seinem abgedunkelten Wohnzimmer saßen, Gurken aßen und Wodka tranken.
    »Ach das«, er wirkte verärgert, »das war diese Myschinski-Geschichte vor knapp zwei Jahren.«
    »Sie haben dich befördert, weil Myschinski geflohen ist?«, hatte Nikolai gelacht.
    »Dafür hätten sie mich schon zum Oberst machen müssen«, lächelte Jewgenji hektisch, »ich konnte aber noch verhindern, dass er für den Nobelpreis nominiert wurde!«
    »Was ist los mit dir? Du bist blass, unruhig, und abgemagert bist du auch«, stellte Nikolai nach kurzem Schweigen fest und blickte seinem Freund besorgt in die Augen.
    »Wahrscheinlich trinke ich zu wenig.«
    »Im Ernst«, Nikolai schenkte ihnen Wodka nach.
    Jewgenji ging zum Fenster und blickte in die Nacht. Er zündete sich eine Belomor an und wurde kurz darauf von einem Hustenkrampf geschüttelt. Nikolai tat nichts. Er wusste, dass sein Freund immer der Erste war, wenn es darum ging, anderen zu helfen. Sich selbst helfen zu lassen hatte er sich jedoch nie angewöhnt. Nikolai konnte das gut nachvollziehen. Wenn man, wie sie beide, die Hölle in Afghanistan überlebt hatte, dann hatte man gelernt, sich nicht auf andere zu verlassen. Wenn du in einem Hochtal des Hindukusch in einen Hinterhalt der Mudschaheddin gerätst, dann springst du schnell hinter einen Felsen und wartest nicht darauf, dass ihn jemand vor dich rollt.
    »Ich weiß nicht, wie lange das noch weitergehen soll«, Jewgenji drehte sich wieder um. Nikolai sagte nichts, sondern wartete, bis er von selbst weitersprach.
    »Weißt du, uns geht es jetzt gut. Wir sind Offiziere, haben ein bisschen Einfluss, genug zu essen, brauchen nicht zu frieren … nicht einmal der Wodka geht mehr aus. Aber zu Hause gibt es immer noch tagelang kein Brot, mein Vater hat seit zwei Jahren eine schwere Bronchitis und bekommt keine Medikamente und in Afghanistan sterben jeden Monat Hunderte von Soldaten, die noch keine zwanzig sind!«, er setzte sich wieder in seinen Sessel.
    »Wem sagst du das«, Nikolai dachte an den Granatsplitter in seinem Oberschenkel.
    »Und wir ackern und ackern, aber es ändert sich nichts«, seufzte Jewgenji, »wir schütten mehr und mehr Benzin in ein Auto, das trotzdem nicht von der Stelle kommt.«
    »Vielleicht hat es ein Loch im Tank«, Nikolai nahm sich noch eine Gurke.
    »Vielleicht liegt es auch an der Benzinleitung«, Jewgenji gestikulierte mit den Armen, »es könnte aber auch der Vergaser sein, womöglich ist ja auch der Motor kaputt!«
    »Es könnte auch jemand die Reifen gestohlen haben.«
    »Du sagst es, alter Freund«, er nahm einen tiefen Zug und hustete wieder, »irgendwann fliegt uns das alles hier um die Ohren!«
    »Wir sind Russen«, Nikolai machte eine schicksalsergebene Geste, »unser Volk hat schon Schlimmeres überstanden und wir beide auch, meinst du nicht?«
    »Das schon.«
    »Hier«, Nikolai warf Jewgenji eine alte Zeitung samt Bleistift zu, »schreib den Namen auf von der Medizin für deinen Vater. Ich habe gute Beziehungen zur Stabsapotheke.«
     
    Ein paar Wochen später erfuhr Nikolai, dass sein Freund in der Nähe der westdeutschen Stadt Nürnberg tot aufgefunden worden war. Als KGB-Offizier hatte er Zugang zur Presse des Klassenfeindes. Jewgenji war erschossen und anschließend im Wald verscharrt worden. Die zuständige Polizei tappte im Dunkeln, sie war nicht einmal in der Lage, die Nationalität oder gar den Namen des Toten zu ermitteln. Nikolai schnitt die Pressemeldungen aus und steckte sie zunächst in das kleine Fotoalbum, in dem er ihre gemeinsame Zeit als Kadetten und Frontoffiziere dokumentiert hatte – Jewgenjis düstere Prophezeiung war eingetreten.
     
    » Das sind seine Straßen, von jeher « , jaulte es aus dem Radio. Alfred und Renan hatten sich in ihr Büro zurückgezogen, weil ihnen gerade nichts anderes übrig blieb als zu warten. Die Momente, in denen man komplett
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