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Albach und Mueller 01 - Russische Seelen

Albach und Mueller 01 - Russische Seelen

Titel: Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
Autoren: Bronnenmeyer
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zu trinken. Alfred hatte schon mehr als ein Mal erlebt, dass Verdächtige nach nur wenigen Tagen – dem Wahnsinn nahe – unaufgefordert Kapitaldelikte gestanden hatten, nur um von Herbst und seiner absurden Kommunikation befreit zu werden. Seine sonderbare Art verunsicherte Täter, Mitwisser, Angehörige und Zeugen und ließ sie schnell Geheimnisse ausplaudern und Fehler machen. Ähnlich verhielt er sich seinen Kollegen gegenüber, so dass er zwar kaum Freunde, aber auch keine Feinde im Polizeipräsidium hatte. Man ließ ihn einfach in Ruhe seine Arbeit machen. Über mehrere Ecken hatte Alfred erfahren, dass Herbst sogar einmal Lehraufträge an der Beamtenfachhochschule der Polizei wahrgenommen hatte. Diese Art von Sendungsbewusstsein hatte er jedoch schon lange abgelegt und beschränkte sich nun darauf, als einfacher Kommissar Mordfälle zu lösen. Alfred ließ er am Geheimnis seines Erfolges teilhaben, erklärte es ihm aber nicht. Sein Kollege hatte diese Herausforderung begriffen und angenommen und manchmal, aber nur manchmal, schaffte es Alfred, auch einmal Herbst zu verwirren.
    »Ich glaube«, sagte Alfred in seinem Kaffee rührend, »wir überschreiten gerade eine ethische Grenze.«
    »Ethische Grenze?«, Herbst unterbrach die Arbeit mit dem Pfeifenstopfer für einen Moment und sah Alfred fragend an.
    »Es scheint ein Urbedürfnis des Menschen zu sein, Tote zu identifizieren. Das Rote Kreuz öffnet heute noch Massengräber aus dem Zweiten Weltkrieg, nur um herauszufinden, wer sich darin befindet, und die Überreste den Verwandten zu überstellen, damit sie ordentlich begraben werden können.«
    »Davon habe ich gehört«, nickte Herbst, seine Pfeife anzündend.
    »Wie kann es dann sein, dass wir diesen Mann nach wenigen Wochen als Unbekannten verscharren. Da stimmt doch was nicht, oder?«
    »Junger Freund«, antwortete Herbst sanft, »stimmst du mit mir darin überein, dass wir zwei hier nichts mehr tun können?«
    »Ja.«
    »Dann glaube mir, ich verstehe deinen Konflikt, aber du musst schon die vom Roten Kreuz fragen, warum sie sich lieber um unbekannte, seit Jahrzehnten tote Soldaten kümmern als um die frische Leiche unseres Russen. Er hat eben das Pech, dass er in einem kalten Krieg ums Leben gekommen ist.«
    »Kalter Krieg«, Alfred begann, eine Zigarette zu drehen, »eben. Und jetzt frage ich dich, als erfahrenen Kollegen: Müssen da nicht die Geheimdienste ihre Finger im Spiel gehabt haben? Sprich zu mir Herbst, du weißt, ich halte dich für einen Weisen!« Es war ein relativ zuverlässiges Erfolgsrezept, Herbst wie einen mythologischen Seher zu behandeln, ähnlich dem alten, zahnlosen Theresias oder dem Orakel von Delphi. Alfred hatte vor einiger Zeit bemerkt, dass sich Herbst in solchen Zusammenhängen manchmal zu einer halbwegs deutlichen Aussage hinreißen ließ. Allerdings antworteten Orakel auch oft in Rätseln:
    »In Dänemark gibt es Fischer«, Herbst zückte ein Taschentuch und fuhr sich damit über die Halbglatze. Alfreds Appell schien er nicht gehört zu haben.
    »Und?«
    »Die finden in regelmäßigen Abständen Leichen in ihren Netzen. Das sind fast immer Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, die versuchten, über die Ostsee in die westliche Welt zu fliehen. Wie viele davon werden auch nur als DDR-Bürger identifiziert?«
    »Sag du es mir.«
    »Nahezu keiner. Die DDR würde doch niemals zugeben, dass jemand aus ihrem gelobten Land fliehen möchte, und wir können nur etwas tun, wenn die Leichen einigermaßen erhalten sind und von Verwandten oder Bekannten im Westen erkannt werden. Da ist nicht nur eine Mauer zwischen uns, Kollege, wir leben in verschiedenen Welten.«
    »Junge, Junge«, sagte Alfred nach mehreren Schweigeminuten, »wir müssten einfach mehr über Agenten, Geheimdienste und Spionage wissen.«
    »Geheimdienste, Spionage«, wiederholte Herbst, »das ist gar nicht gut.«
    »Nun, Alfred«, sagte Herbert Göttler tags darauf in der Kantine, »wie ich höre kannst du immer noch nicht von deinem toten Russen lassen?«
    »Und wie ich höre bist du in die Partei eingetreten, die wir in Bayern als staatstragend bezeichnen«, entgegnete Alfred. Er verspürte wenig Lust, sich von seinem Freund aus Bepo-Tagen wieder seinen Idealismus vorhalten zu lassen.
    »Und das solltest du auch tun«, Herbert lehnte sich zurück und strich seine Krawatte glatt. »Ich meine es nur gut mit dir, Alfred. Wenn du weiter vergeblich nach den Mördern von toten Kommunisten suchst, wirst du hier
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