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Agenten - Roman

Agenten - Roman

Titel: Agenten - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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wachsam.
    »Sie trumpft gar nicht auf«, sagte er leise, »und das kommt daher, weil sie sich in diesen Rollen nicht fremd wird, selbst in den extremsten Lagen ist es noch wie ein Sprechen.«
    »Blok«, antwortete ich, »ich glaube, ich bin ein wenig betrunken.«

    »Ach, Meynard«, fuhr er fort, »die Trunkenheit teilen wir uns. Sowas teilt man durch zwei. Hörst du mir zu, Meynard?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Gut, hör mir zu. Frankie wird sich von meiner Mutter trennen. Seit ein paar Tagen wohnt sie nicht mehr hier. Er hat was Bessres gefunden, die Neue ist Ärztin, großes Plus, und sie ist Dressurreiterin, Ausrufezeichen. Sie hat einen zwölfjährigen Sohn, großes Minus, und sie lebt in Scheidung. Ich werde also eine Stiefmutter und einen Halbbruder bekommen, und in der Garage werden wir einen schizoiden Gaul unterbringen, der im Kreis laufen kann.«
    »Ist nicht wahr.«
    »Das heißt also, hier wird sich einiges ändern. Du kannst jetzt kommen, wann immer du willst, bisher gab es hier laufend Streit. Aber nun kommen die glücklichen Tage, fette Glücksgaulharmonie, und dazu lade ich dich ein, Meynard, wann immer du willst.«
    »Ist gut«, sagte ich ruhig, aber ich brauchte nichts mehr zu sagen. Der Plattenarm hob sich, fuhr langsam zur Seite und fiel in die Halterung. Blok lag jetzt wie eingeschläfert da, ich wartete noch eine Weile, dann stand ich schwankend auf und ging zur Tür.
    Ich schaute mich noch einmal kurz um, öffnete die Tür, schlüpfte hinaus, schloß sie hinter mir, tastete mich die Treppe hinauf und verließ das Haus.
     
    Damit begann die Zeit, in der Blok langsamer wurde. Es war eine schleichende Veränderung, ein Matterwerden, wie bei einem Läufer, der sich mitten im Rennen zurückfallen ließ. Er vertrödelte die Vormittage, ging lange Wege, die er früher mit dem Fahrrad zurückgelegt hatte, zu Fuß und ließ sich einen
Bart stehen, der seine lauernde Passivität nur noch mehr betonte.
    Im Unterricht übte er jetzt offen Kritik, die Lehrer hatten ihm nichts mehr zu bieten. Meist waren es angeschrammte Typen, die sprunghaft gealtert waren, phantasielos, gehemmt durch den 68er-Kram. Ihre Methoden wirkten verbraucht, halbherzig ausgesponnene Bewährungsspiele für die bekannten Begriffe. Oft waren es Begriffe der Rechtfertigung, und die Lieblingsprägung lautete noch immer soziale Relevanz. Mit dieser dienenden Gesinnung brachten sie uns oft zur Verzweiflung, denn sie wirkte wie eine Schraube, die angezogen wurde, um einem die Luft abzudrehen. Ihre müden Verrenkungen waren leicht zu durchschauen, geformt von einem triebhaften und doch gezügelten Verständnis für Anomalien. So warteten sie mit Erklärungen auf, die allen Kontroversen die Spitze nahmen, geborgt aus den Kisten des Fabrikats Gesellschaftskritik. Dahinter aber lauerten Gedanken vom anständigen Leben, platt solidarisch, mit jenem Drang zur Gemeinsamkeit, der uns fehlte. Man stritt nicht einmal gerne mit ihnen, gegenüber jedem Funken von Eigensinn waren sie verständnislos, sie kannten das panische Erschrecken nicht mehr, dessen Echtheit etwas Bedrohliches hatte. Ihre Reglosigkeit kaschierten sie durch ein penetrantes Grübeln, doch dieses Grübeln ging nicht weit, sondern war nur verhalten. Manche dachten vielleicht noch, sie kämpften irgendwo an einer abgelegenen Front, aber die Einsichtigen unter ihnen wußten, sie wurden überhaupt nicht gebraucht.
    Blok ließ sie das spüren. Wenn er mit einer Arbeit nicht fertiggeworden war, brach er mitten im Satz ab und klappte sein Heft zu. Er zeigte demonstrativ, wie gleichgültig ihm alle Vorhaltungen waren; statt darauf zu antworten, stöhnte
er nur manchmal leise vor sich hin. Bald glaubte er an eine Art Komplott, eine geheime Absprache zwischen einigen Lehrern, die angeblich darauf zielen sollte, ihn kleinzukriegen. Es wurde ein ungleicher, den Unbeteiligten töricht erscheinender Kampf, denn beide Seiten wollten sich lediglich noch ihre Stärke beweisen. Blok sammelte Einträge ins Klassenbuch, es war, als stehe er unter Sonderbewachung, und jede irritierende Geste wurde ihm als Affront ausgelegt. Er konnte nur unterliegen, doch anfangs wollte er noch mithalten, so daß es zu heftigen Auseinandersetzungen kam. Dann aber wurde es aussichtslos, man zeigte ihm, wie man ihn kaltstellen konnte, und er ließ die Zügel schleifen.
    Wir alle beobachteten dieses lange Ringen um Punkte, doch nur ich bemerkte, wie sehr es Blok mitnahm. Manchmal schien er keine Luft mehr zu bekommen, ich
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