Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Agenten - Roman

Agenten - Roman

Titel: Agenten - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
von trüben, abgestandenen und mineralhaltigen Essenzen. Nachts breitete sich auch im Sommer ein feiner Nebel aus, und seine vom Wind zerteilten Schwaden verdunsteten wie ein heftiger, warmer Atem an den bodentiefen Villenfenstern der Innenstadt. Aus Tanzsaalpalästen, von milchigem rosa Licht ummäntelt, klangen Spielwalzen-Cancans, und aneinandergeschmiegte Paare verschwanden flüsternd in plüschigen Absteigen, wo die dunkelroten Samtportieren den ganzen Tag zugezogen blieben. Durch diese stets wechselnden Kulissen wankte Dostojewski, der fanatische Zocker , ein vom Wahnsinn gezeichnetes Laternenphantom. Faîtes votre jeu , und die bleichen Jetons wurden von nikotingelben Fingern auf ganze Zahlen gesetzt. Balkons, Erker, Verandavorbauten, in verglasten Wintergärten drängten sich exotische, subtropische Pflanzen, die im Morgengrauen süßliche Aromen verströmten. In der Frühe huschten die Dienstboten zu ihren Besorgungen und kamen Stunden später heim mit den delikatesten Speisen, an den Nachmittagen zeigten sich in den sanft geschwungenen Straßen der Villenviertel stolze Hausbesitzer, die in dieser Stadt ganz zur Ruhe kommen wollten. In unseren Phantasien war es eine Stadt ohne Jugend, ein verschlafen mondänes Exil für alle, die nicht nach Heimat, sondern nach einem unterhaltsamen Leben ohne Ekstasen verlangten, eine Stadt kleiner, stets vertuschter Skandale und einsam gewordener Herren in hohem Alter mit erlesenen Kunstsammlungen, für die sie ein Leben gebraucht hatten. Es war eine Stadt voller Menschen mit überzüchteten Sinnen, eine mit den Jahrzehnten weltfremd gewordene Insel für guten Geschmack, an dem man mit distinguierter Langeweile festhielt, ein leicht verlotterter Jungbrunnen mit Badehäusern aus der weichen Epoche
des Jugendstils, in den schlimmsten Alpträumen eine modrige Gruft, mit dem marmornen Sarkophag einer russischen Herzogin, die an der erkalteten Liebe ihres Gatten zugrunde gegangen war.
     
    Blok bewohnte ein winziges Mansardenzimmer, das sein Vater aufgetan hatte. Es war eine kühle, verwinkelte Bude, karg möbliert, und man schaute aus dem einzigen Fenster auf das Amtsgericht. Blok brauchte nicht mehr als eine schmale Liege, einen Tisch und zwei Stühle, alle anderen Möbel räumte er aus. Er hatte seine Platten mitgenommen, und die beiden schwarzen Lautsprecherboxen standen zu beiden Seiten der Fensternische wie zwei treue Diener, die keine Anstalten machten. Das Zimmer war ein gutes Quartier, eng genug, um ausschweifende Träume anzulocken. Gleich nebenan sollte es einen ähnlichen Raum geben, und wir hörten von anderen Mietern, daß es der Unterschlupf einer Fachhochschulstudentin im zweiten Semester sei. Doch entweder schien sie woanders zu kampieren, oder sie lebte das geräuschlose Leben einer Zimmerpflanze, die mit wenig Sonnenlicht auskam.
    Blok erzählte, daß es in der Privatschule ganz anders zuging als auf dem Gymnasium der Kreisstadt. Seine Mitschüler waren meist viel älter als er, in die Jahre gekommene Knaben, die fürs Lernen keine Energien mehr aufbrachten. Sie kamen und gingen, wie es ihnen in den Kram paßte, und die Schulstunden waren kurze Aufenthalte zwischen den wichtigeren Aktivitäten. Auf ihren früheren Schulen waren sie aus Faulheit gestrandet, aber sie hielten Faulheit nicht für eine Schande, sondern für einen Ausdruck des Abscheus gegenüber allem nicht profitablen Wissen. Auch sie wollten weiter, aber auf anderen Gleisen; sie hielten nichts von Verzicht, sie
wollten eindeutige Erfolge sehen, bar, notfalls in Raten. Die Schule nahmen sie gerade noch mit, irgendein Wisch konnte nicht schaden, mit dem man sich ausweisen konnte. Sie kümmerten sich nicht umeinander, nichts hielt sie zusammen, sie dienten ihre Stunden ab, jeder für sich, nach einem eigenen, jederzeit variierbaren Plan. Es gab wenig Reibungen, in der Schule kannten sie nicht einmal Konkurrenz. Konkurrenz herrschte dort, wo es um Einsätze und Renditen ging, die Schule aber war eine Sache von Lehrern, die mit ihrem schalen Wissen hausieren geschickt wurden. Es waren Lehrer, die kaum noch etwas verlangten, kauzige, seit langem an den Rand gedrängte Einzelgänger, oder solche, die ganz auf Bequemlichkeit aus waren. Sie griffen nicht durch, sie hatten alle Strenge verloren, und ihre Stunden bestanden aus langen Monologen ohne alle Effekte. In ihren Schülern hatten sie teilnahmslose Gesellen gefunden, die es schätzten, wenn es kurz und schmerzlos zuging.
    Blok kam schnell mit ihnen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher