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Agenten - Roman

Agenten - Roman

Titel: Agenten - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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fühlen. Doch auch in solchen Fällen trank man nicht gegen die Einsamkeit an, sondern man
schmückte sie aus, und am Ende war sie beinahe wunderbar dicht und entrückt und erschien wie selbstgewählt.
    Erst nachts gegen elf fühlte man sich umzingelt, und unter denen, die sich in der abgesonderten Thekenecke breitmachten, waren dann auch einige Trinker, die sich oft umständlich zu Wort meldeten und Probleme aufrollten. Wenn es gelang, für sich zu bleiben, störten sie uns nicht weiter; sonst aber war es immer das Beste, schnell das Weite zu suchen. Gespräche, in die man gegen seinen Willen gezogen wurde, machten auf die Dauer nur geschwätzig, außerdem lag uns nichts daran, laufend die eigenen Meinungen herausgefordert zu sehen. Meinungen gehörten zu strapazierten Themen, und wir wollten uns alle Wiederholungen ersparen.
     
    Oft waren uns gute Gedanken gekommen, plötzliche, treffende Blicke auf unerledigte Geschichten, und dann spürten wir, selbst überrascht, so etwas wie einen Fortschritt; wir zahlten, machten uns los, wir waren in Fahrt, gut aufgelegt wie zwei, die sich die Bälle zuflankten. Meist trieb dieser Schwung uns herum, und wir liefen, gegenseitig angesteckt von Plänen oder Ideen, durch die Nacht. Die Kneipen waren jetzt meist überfüllt, und man gesellte sich nicht gern mehr irgendwo dazu, weil man ins Stocken gekommen wäre und schließlich von vorn hätte beginnen müssen. Ein paarmal hatten wir es mit Diskotheken versucht, wo um diese Zeit erst die heiße Phase begann. Doch das Herumstehen machte unwirsch und freudlos, und der werbende Umgang mit Frauen wäre uns sowieso nie gemeinsam geglückt.
    Dabei wußten wir, das stand uns bevor, wir hatten lange genug gezögert. Unsere Mitschüler waren fast alle mit Frauen zusammen, und schließlich gab es unleugbar diese stille
Sehnsucht nach einem intensiven Kontakt. Ich wußte nicht genau, wie Blok darüber dachte, und ich hielt mich zurück, ihn genauer zu fragen; während der Zeit in der Kreisstadt hatten wir jedenfalls all diese Phantasien verworfen. Die Frauen in unserer Schule waren uns viel zu nahe gewesen, wir hatten die meisten jahrelang immer in denselben Situationen erlebt, das vertrieb alle Neugier und ließ höchstens kameradschaftliche Verbindungen zu. Man sträubte sich dagegen, in dieser Kreisstadt mehr anzufangen; die heftigen Gefühle, die man erwartete, gehörten nicht dorthin, man hätte sich ihrer geschämt oder sich Mühe geben müssen, von niemandem ertappt zu werden. Es war fast so, als lasse die Provinz eine Liebe nicht zu; schon bei dem Gedanken schüttelte man nur den Kopf. Mit festem Willen konnte man sich darüber hinwegsetzen, und so hatten es viele getan. Leicht erhielten solche Freundschaften jedoch etwas Trostloses, und diese Trostlosigkeit war eine Folge des fehlenden Raums. Außerdem war Liebe etwas, an das man nicht vorsätzlich dachte, weil sie ohne Anläufe auskam.
     
    An Sex dagegen konnte man denken, denn beim Sex hatte man es mit lenkbaren Gewalten zu tun. Sex hatte nichts Mysteriöses, schließlich war jeder von Kindheit an damit vertraut. Man hatte seine Erfahrungen, meist hingen sie mit lange gehegten und in der Erinnerung immer wieder hervorgekramten Bildern zusammen, und diese Bilder hatten etwas von Standphotos eines mehrmals gerissenen, mühsam geklebten Films. Auf unseren frühen Klassenfeten hatte es diesen unterentwickelten Sex gegeben, die enge Berührung und das vertuschte Erschauern, dann den leicht betäubenden Geruch warmer Haut und Küsse, flüchtig getauschte oder im
Dunkel geraubte. Später hatte das alles nicht mehr genügt, wir waren direkter geworden, und der heißgelaufene Körper war wie von Schwärmen befallen. Mit der Zeit hatte man sich besser darauf verstanden, doch immer waren diese Überwältigungen getrennte, nicht zu wiederholende, völlig voneinander verschiedene Ereignisse geblieben. Man hatte sich schlau gemacht , genau so hatte es einer genannt, und natürlich war man mit all diesen Proben niemals zufrieden gewesen. So hatten die Vorstellungen davon etwas von Überstürzung behalten, schon bei den ersten Bildern geriet man in Unruhe oder verfiel in eine innere Hast, als sei man unfähig geworden, Empfindungen langsam zu steigern. Sex erschien uns wie eine Sache der Nerven, und wir glaubten fest, es werde uns einmal gelingen, diese verborgenen Nerven zu orten.
     
    Wenn ich nach den Wochenenden mit Blok wieder nach Hause zurückkam, mußte ich mich erst wieder fangen.
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