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Agenten - Roman

Agenten - Roman

Titel: Agenten - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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sah, daß seine Hände zitterten, und er rieb immer wieder den Schaft seines Pelikan trocken, weil seine Fingerspitzen feucht waren und den Füller nicht mehr fest zu fassen bekamen.
    Einmal war er in einer Turnstunde mit einer Übung am Kletterseil dran; er klammerte sich fest und zog sich langsam, wie es so seine Art war, hinauf. Ich stand unten neben dem Seil und schaute zu, wie er mit dem rechten Arm ausholte, den linken folgen ließ und Stück für Stück höher hinaufrutschte, als ihn der antreibende Schlag des Lehrers mit einem Riemen traf, genau zwischen die Beine. Blok hielt ein und blickte hinab; er baumelte nun über unseren Köpfen und gab keinen Laut von sich. Der Lehrer machte eine spöttische Bemerkung, sie sahen sich starr an wie zwei Feinde, die einander den letzten Stoß versetzen wollten. Es war unerträglich, blanker gegenseitiger Haß, man spürte die Kälte am eigenen Leib. Blok wartete, bis es ganz still geworden war; dann ließ
er los und sprang mit einem leichten, federnden Satz auf den Boden. Er wischte seine Hände, als müsse er sie vom Magnesiastaub befreien; dann ging er wortlos hinaus in den Umkleideraum.
     
    Auch zu Hause wurde alles schwerer für ihn. Wenn ich ihn besuchte, verbrachten wir die meiste Zeit in seinem Zimmer, bedrückt und eingepfercht wie in einem Bunker, um den herum Geschosse detonierten. Seine Stiefmutter brauchte Wochen für den Umzug, und draußen, auf dem Rasen vor dem kleinen Wäldchen, ließ ein zwölfjähriger Flegel seinen Bumerang kreisen. Frankie hatte sich Urlaub genommen, und wir erlebten, wie er neuen Auftrieb erhielt. Er packte die Umzugskisten aus und gruppierte die schweren spanischen Möbel um, als könne er so alle Spuren der Erinnerung verwischen. Wenn Entspannung angesagt war, tauschte er nun seine karierten Hemden gegen weiße, gestärkte, nur die breit auslaufenden Krawatten behielt er bei wie Markenzeichen, die ihn mit seinem früheren Leben verbanden. Beinahe jeden Abend führte er seine neue Liebe aus, Blok erzählte mir, daß sie meist erst nach Mitternacht wieder aufkreuzten, kichernd und angetrunken, ein hitziges Gespann, das sich für unschlagbar hielt.
    Wir gingen nun viel spazieren, es waren lustlose, schleppende Gänge mit langen Aufenthalten in leeren Dorfkneipen, wo Blok die Spielautomaten beschäftigte und Theorien dar über aufstellte, welche Ziffernkombinationen einer Hunderter-Serie vorausgingen. Beim Spielen trank er einen Kaffee nach dem anderen, die rechte Hand in der Nähe der Tasse, die linke frei für das zermürbende Hickhack auf den drei roten Tasten. Er hatte oft Glück, nach Gewinnen beruhigte er sich, kaufte uns Zigaretten und spielte den erfahrenen winner , dem
niemand etwas vormachen konnte. Auch ich geriet in den Sog seiner Schwermut, es wurde Zeit, daß etwas geschah, doch wir hatten nichts in Aussicht, nicht einmal irgendein lumpiges Ziel, bis man Blok die Rechnung präsentierte und endgültig feststand, daß er die Klasse wiederholen mußte.
    Auch diese Beurteilung beeindruckte ihn nicht, und er gab sie in meiner Gegenwart zu Hause zum Besten wie einen klinischen Befund, der keine Behandlung verlangt. Frankie jedoch machte sich seine Gedanken, er brauchte kaum zwei Tage dafür, dann hatte er die Lösung für alle Probleme parat. Blok rief mich an, und ich hörte eine überdrehte, hastige Stimme: »Ich wechsle auf eine Privatschule in Wiesbaden, Frankie übernimmt alle Kosten, ich miete mir ein Zimmer, Meynard, jetzt kommen wir frei.«
     
    Wiesbaden existierte damals für uns nur als verschwommenes Bild. Es war ein Operettenbild aus dem vergangenen Jahrhundert, mit Auftritten des Kaisers im Hoftheater, mit Hoteldienern und Pagen in den zur Sommerzeit überfüllten Nobelhotels, mit Kurkonzerten in weiten, alten Parkgeländen. Dazu gehörte eine durch Sekt und Champagner angeheizte Stimmung, etwas manieriert Schlüpfriges wie auf den pastellfarbenen Skizzen eines Toulouse-Lautrec. Feine Herrschaften wurden im Ein- oder Zweispänner vom Bahnhof abgeholt und belegten die Zimmer schattiger, stiller Pensionen mit klingenden Kokottennamen wie Alexandra, Beatrice, Credé. Alle dachten an ein leichtes Amüsement, vier oder sechs Wochen Halbwelt-Leben, unerwartete Spielbankgewinne und gefällige Temperaturen. Eine Stadt mit Treibhausklima, dunstig, vegetativisch, mit zahllosen Quellen, deren heißes, dampfendes Wasser sich in kleine Brunnen ergoß, in deren Nähe sich
ein Geruch von gekochten Eiern breitmachte, ein Geruch
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