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AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN

AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN

Titel: AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
Autoren: Gerhard Jelinek
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regelmäßig erst beim Jawort (und oft nicht einmal dann), schon Kinder wurden per Stellvertreter verehelicht, manchmal vor ihrer Geburt versprochen. Ein Fürst, gar ein König heiratete aus Staatsräson eine Frau, die er nie gesprochen, deren gemaltes Bildnis ihm – im günstigsten Fall – gezeigt worden war. Ehen – vor Gott geschlossen – sind die Voraussetzung für den Seitensprung.
    Affären abseits des Ehebetts stellten keineswegs die Ausnahme dar, sondern die akzeptierte Regel. Eine Zweitfrau (sehr oft waren es dutzende „Zweitfrauen“) provozierte noch keinen Skandal. Und außereheliche Kinder blieben zwar von der Erbfolge ausgeschlossen, konnten aber durchaus Karriere machen. Don Juan de Austria, der Sieger gegen die Türken bei der Seeschlacht von Lepanto, war Ergebnis der Liebe zwischen Kaiser Karl V. und der Bürgerstochter Barbara Blomberg. Die Untertanen, „Bürger“ im demokratischen Sinn gab es ja erst ab dem 19. Jahrhundert, erfuhren höchstens durch mündliche Überlieferung, gelegentlich durch „Schmähgedichte“, vom Liebesleben ihrer Herrschaft.
    Es galt ohnehin der Grundsatz des „zweierlei Maß“. Was den Herren erlaubt war, das untersagte Mutter Kirche ihren Gläubigen. Das Leben „in Sünde“ war durch die Jahrtausende eher Regel als Ausnahme. Zwischen den sozialen Klassen, zwischen Adel und Volk, denen da oben und denen da unten, herrschte auch und gerade auf sexuellem Gebiet keine Gleichheit der Rechte. Der Mächtige – in aller Regel war es ein Mann – nahm sich, was er brauchte. Eine „ehrbare“ Frau hatte daheim zu bleiben, ihren Gemahl zu erdulden und Affären schweigend hinzunehmen. Umgekehrt ging das gar nicht. Hielt sich ein Fürst Mätressen, dann hatte das niemanden zu stören. Auch die hohe Geistlichkeit schaute weg, benahm sich in vielen Fällen äußerst weltlich. Eine Frau konnte die außerhäusliche Liebe buchstäblich den Kopf kosten. Verhältnisse der Herrschaft wurden schamhaft verschwiegen, die Doppelmoral zur Norm. Im barocken Frankreich wandelte sich der Seitensprung zur offiziellen Staatsaffäre. Die jeweilige Favoritin des Königs bekam gar einen Titel und einen Rang am Hof. Als „Maîtresse-en-titre“ erhielt die Bettgefährtin des Monarchen Zugang zur absolutistischen Macht, Einfluss und die Chance, durch Korruption ein ungeheures Vermögen zusammenzuraffen. Die Position blieb aber äußerst vage. Verlor der König sein sexuelles Interesse oder wurde die Mätresse gar zu mächtig, konzentrierten sich die politische Kritik, Neid, Missgunst und Hass auf das korrupte System sehr oft auf die Nebenfrau, der alle Schuld in die Seidenpantoffeln geschoben wurde.
    Was das einstige Tabuthema Sexualität betrifft, leben wir heute, im dritten Jahrtausend, wahrscheinlich in einer der freiesten Gesellschaften. Jedenfalls bilden wir uns das ein. Per Gesetz, Moral und Konvention ist alles erlaubt, was dem Partner nicht mit Gewalt aufgezwungen wird. Niemand wird wegen seines Lebenswandels bestraft, die Liebe zwischen den Geschlechtern ist in allen denkbaren Varianten erlaubt und wird öffentlich demonstriert. Das Normale darf nicht „normal“ genannt werden, weil es das Abnormale als „abnormal“ diskriminieren würde. In voller sexueller Offenheit hat eine neue Form des Tugend-Konformismus Einzug gehalten, mit schweren gesellschaftlichen Sanktionen. Unsere heutige Gesellschaft (die westliche Wertegemeinschaft – was, wer immer, darunter verstehen mag) ist plakativ sexualisiert. Sex funktioniert in jeder Ausformung als beherrschendes Signal in den Massenmedien, der Werbung und der Populärkultur. Sex sells. Ulrich Greiner schreibt in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“: „Die Sexualität, früher die wichtigste Nebensache der Welt, ist zur unwichtigsten Hauptsache geworden.“
    Aber: Noch immer sind die in unseren Genen veranlagten Stimuli wirksam. Und immer wieder gibt es Affären, die die Welt bewegen. Wenn ein amerikanischer Präsident mit einer drallen Praktikantin während der Dienstzeit Oralsex hat, wenn ein ehemaliger Kraftsportler als kalifornischer „Gouvernator“ die Haushälterin schwängert oder wenn ein Weltbank-Boss an die Unterwäsche eines Zimmermädchens geht, dann haben diese „Affären“ politische Auswirkungen. Der Präsident wird zur politisch „lahmen Ente“, der Ex-Gouverneur vom starken Mann zur Lachnummer und der Weltbanker verspielt das französische Präsidentenamt. Die Mächtigen, die Reichen, die Schönen sind heute
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