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Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl

Titel: Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
Autoren: Greg Iles
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Mauer und renn zu deinem Auto. Ein kluger Mann würde das tun.«
    Ich drücke den Rücken gegen die kalten Ziegel und denke über seine Worte nach. Das Schicksal kann sich urplötzlich von einem wolkenlosen Himmel auf dich stürzen, wie bei der Krebserkrankung meiner Frau, oder es kann dir auf deinem Weg auflauern, sichtbar für jeden, der es sehen will. Aber manchmal ist es bloß eine Straßengabelung, und nur selten steht ein Freund neben dir, der dir sagen kann, welcher Weg der bessere ist. Es ist die älteste menschliche Alternative: behagliche Ignoranz oder mit Schmerz erkauftes Wissen. Ich kann beinahe hören, wie Tim an seinem Blackjack-Tisch auf der Magnolia Queen fragt: »Erhöhen oder halten, Sir?« Wenn ich doch nur eine Wahl hätte! Aber da ich geholfen habe, die Queen nach Natchez zu bringen, ist die Sache von vornherein entschieden.
    »Erzähl schon, Timmy. Ich habe nicht die ganze Nacht Zeit.«
    Jessup schließt die Augen und bekreuzigt sich. »Dem Himmel sei Dank«, flüstert er. »Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn du nicht mitgemacht hättest. Ich hab mich weit aus dem Fenster gelehnt, Mann. Und ich bin ganz allein.«
    Ich zwinge mich zu einem Lächeln. »Lass uns hoffen, dass mein zusätzliches Gewicht dich nicht aus dem Fenster stürzen lässt.«
    Er mustert mich lange; dann zieht er etwas aus der Gesäßtasche. Es sind offenbar zwei Spielkarten. Er hält sie mir mit der Handfläche nach unten hin. Die Karten sind fast ganz unter seinen Fingern verborgen.
    »Soll ich eine Karte ziehen?«, frage ich.
    »Das sind keine Karten, das sind Fotos. Mit einem Handy aufgenommen.«
    Ich strecke die Hand aus und nehme die Fotos entgegen. Ich habe Tausende von Tatortfotos bis ins Detail betrachtet und rechne nicht damit, von Schnappschüssen geschockt zu werden, die Tim Jessup in seiner Gesäßtasche mitgebracht hat. Aber als er sein Feuerzeug anzündet und es über das erste Foto hält, höre ich im Kopf ein Summen wie von tausend Wespen, und mir dreht sich der Magen um.
    »Ich weiß«, sagt er. »Aber es kommt noch schlimmer.«

2
    L inda Church liegt unter dem Mann, der ihren Lohn zahlt, und versucht, sich ihre Furcht nicht anmerken zu lassen. Während er verschwitzt und mit brennenden Augen in sie hineinstößt, stellt sie sich vor, eine Steinfigur in einer Kathedrale zu sein, deren tote Augen nichts enthüllen. Linda liest in ihrer Freizeit Fantasy-Romane, und manchmal malt sie sich aus, eine Gestalt in einem Buch zu sein, eine Edelfrau, die durch einen grausamen Schicksalsschlag gezwungen wird, Dinge zu tun, die sie hasst. So etwas passierte den Heldinnen am laufenden Band. Schon ihr Leben lang (oder seit sie als Vierjährige die Prinzessin in ihrer Kindergartenaufführung spielte) sucht Linda nach ihrem Prinzen. Er soll sie aus dem Dornenlabyrinth hinausführen, zu dem ihr Leben geworden ist. Als sie den Kerl kennenlernte, der sie nun vögelt, glaubte sie, der magische Moment sei endlich gekommen. Nur ein Jahr, bevor sie dreißig wurde (und mit einem trotz manch derber Behandlung unversehrten Äußeren), war Linda endlich vom Schicksal zu einem Prinzen gelenkt worden. Er sah aus wie ein Filmschauspieler und redete tatsächlich wie ein Prinz in den Filmen, die ihre Großmutter sich früher angeschaut hatte. Wie Laurence Olivier oder Cary Grant.
    Aber Cary Grant war gar nicht Cary Grant. Er hieß Archie Leach oder so, also war er nicht der, für den man ihn immer gehalten hat. Hier zeigte sich die Wahrheit des Lebens: Nichts ist das, wofür man es hält, und niemand ist der, der zu sein er vorgibt.
    Wäre Lindas Prinz zu einem Frosch geworden, hätte sie wenigstens den Trost des Vertrauten gehabt. Aber dieses Märchen endete anders, denn der falsche Prinz verwandelte sich in eine Schlange mit nadelscharfen Zähnen, aus denen scheußliches Gift spritzt. Linda wusste nun, dass sie nur eine von zwanzig oder dreißig Frauen war, mit denen er auf der Magnolia Queen geschlafen hatte und die er wahrscheinlich immer noch bumste, egal was er behauptete. Denn welche Frau konnte riskieren, ihn abzuweisen, solange gut bezahlte Arbeit kaum zu finden war?
    »Was ist heute Abend mit dir los?«, grunzt er, ohne seine Bewegungen zu unterbrechen. »Drück die Pissklappen zusammen und sieh zu, dass er was zu tun hat.«
    Vor allem hasst sie seine Stimme, denn seine klangvolle Redeweise in der Öffentlichkeit ist nur ein weiterer Mantel, der das verhüllt, was sich unter seiner Haut und hinter seinen kalten,
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