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Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl

Titel: Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
Autoren: Greg Iles
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drängenden Flüstern durchbrochen: »He, Alter! Bist du da oben?«
    Ein Schatten schiebt sich vom Friedhof her zum Rand des Jewish Hill vor. Von meinem Standort aus kann ich alle vier Eingänge des Friedhofs sehen, doch ich habe keine Scheinwerfer gesehen und keinen Motor gehört. Aber Tim Jessup materialisiert so plötzlich wie eines der Gespenster, die nach Meinung vieler Einwohner von Natchez auf diesem alten Hügel herumspuken. Ich weiß, dass es Tim ist, denn er war früher ein Junkie und bewegt sich immer noch so: ruckartig, wobei er dauernd den Kopf schwenkt, als hielte er nach der Polizei Ausschau, während seine dünnen Beine ihn auf der Suche nach einer dunklen Ecke vorantreiben, in der er sich den nächsten Schuss setzen kann.
    Jessup behauptet, seit längerer Zeit clean zu sein, hauptsächlich dank seiner neuen Frau Julia. Ich war zuerst skeptisch, als ich von Julias Ehe mit Jessup hörte, aber im Ort heißt es, sie habe Wunder gewirkt. Julia hat Jessup den Job als Blackjack-Dealer auf den Casinoschiffen besorgt, den er seit nunmehr einem Jahr ausübt, in letzter Zeit auf der Magnolia Queen .
    »Penn!«, ruft Jessup schließlich mit lauter Stimme. »Ich bin’s, Mann. Komm raus!«
    Sein Gesicht ist im Mondlicht erschreckend hager. Obwohl wir beide fast gleich alt sind – unsere Geburtstage liegen genau einen Monat auseinander –, sieht er zehn Jahre älter aus als ich. Seine Haut hat die lederne Beschaffenheit wie die eines Mannes, der zu viele Jahre der Mississippi-Sonne ausgesetzt war; sein ergrauender Schnurrbart ist von Zigarettenrauch braungelb verfärbt, und Haut und Augen zeigen eine gelbliche Tönung wie bei einem Menschen, dessen Leber bald den Dienst versagt.
    Als Jungen hatten Jessup und ich eine enge Beziehung, weil wir beide Arztsöhne waren. Wir wussten um das Gewicht dieser Last, denn von den ältesten Söhnen wird meist erwartet, dass sie in die Fußstapfen ihres Vaters treten. Diese Erwartung konnten weder Tim noch ich erfüllen, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen.
    Mit einem Seufzer der Resignation trete ich hinter dem Grabstein hervor und rufe in Richtung des Flusses: »Tim? He, Tim! Hier bin ich. Penn.«
    Jessups Kopf schnellt herum, und seine rechte Hand zuckt zu seiner Tasche. Eine Sekunde lang fürchte ich, dass er eine Pistole zieht, aber dann erkennt er mich, und seine Augen weiten sich vor Erleichterung.
    »Mann«, sagt er mit einem Grinsen. »Ich dachte schon, du hättest kalte Füße gekriegt.«
    Er schüttelt mir die Hand, und ich staune, dass Jessup mit fünfundvierzig Jahren immer noch wie ein überdrehter Hippie klingt.
    »Du bist derjenige, der sich verspätet hat«, erwidere ich.
    Er nickt öfter als nötig, denn nichts ist ihm wichtiger, als in Bewegung zu sein. Wie teilt der Bursche bloß den ganzen Abend Blackjack-Karten aus?
    »Ich konnte nicht so schnell vom Schiff runter«, erklärt er. »Ich glaube, sie beobachten mich. Sie beobachten uns immer . Jeden. Und vielleicht ahnen sie etwas.«
    Ich möchte ihn fragen, von wem er redet, aber ich nehme an, dass er das Thema noch ansprechen wird. »Ich habe deinen Wagen gar nicht gesehen. Woher bist du gekommen?«
    Das wettergegerbte Gesicht verzieht sich zu einem listigen Grinsen. »Ich hab so meine Tricks, Mann. Wer mit solchen Leuten zu tun hat, muss vorsichtig sein. Das sind Raubtiere. Sie spüren eine Bedrohung und reagieren blitzartig – zack! « Tim klatscht in die Hände. »Purer Instinkt. Wie bei Haien.« Er wirft einen Blick zur Stadt hinüber. »Wir sollten uns Deckung suchen.« Er deutet auf die einen Meter hohen Mauern, die ein Familiengrab umschließen. »Genau wie auf der Highschool. Erinnerst du dich noch, wie wir hinter diesen Mauern hier Gras geraucht haben? Im Sitzen, damit die Cops das Glühen der Joints nicht sehen konnten?«
    Tim schwingt sich mit überraschender Behändigkeit über die Mauer, und ich folge ihm, wobei ich schaudernd an den einen Vorfall auf diesem Friedhof denke, den ich mit Tim in Verbindung bringe: Spät an einem Halloweenabend warfen wir, ein halbes Dutzend Jungen, unsere Liegeräder über die Mauer und rasten johlend über die schmalen Wege, bis uns eine Meute wilder Hunde die Eichen in der Nähe des dritten Tores hinaufjagte. Ob Tim sich auch noch daran erinnert?
    Mit einem letzten besorgten Blick zur Cemetery Road lässt er sich auf den feuchten Boden sinken und lehnt sich an die bemoosten Ziegel in einer Ecke, wo zwei Mauern zusammentreffen. Ich setze mich an die
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