Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel
Autoren: Rose Tremain
Vom Netzwerk:
Maße, an die Scharlach-, Karmesin-, Magenta- und Goldtöne erinnern, die ich einst freigiebig in den Gemächern von Bidnold verteilte, und schließe daraus, dass die Herzogin von Portsmouth (in Paris als Louise de Kéroualle geboren und vom König, aufgrund ihres üppigen Leibs, »Fubbs« oder »Fubbsy« genannt) womöglich einen etwas vulgären Geschmack hat.
    Dann wende ich mich dem König zu und sage: »Meine Tochter reist nach Cornwall, und ich werde ganz allein auf Bidnold sein. Und, Majestät, ich habe vor, nach Frankreich zu fahren, um meine Gemütslage ein wenig zu verändern …«
    »Welche Gemütslage möchtest du denn verändern?«
    »Nun, mir ist sehr wohl bewusst, dass ich allmählich selbstmitleidig werde. Gates sieht das nur zu genau. Immer häufiger versinke ich in Erinnerungen an die Vergangenheit …«
    »Ach, die Vergangenheit. Sie ist immer bei uns. Unser Leben füllt sich immer mehr mit ihr, und irgendwann läuft sie über. Wie soll Frankreich dir aber helfen?«
    »Ich bin überzeugt, es kann mir helfen, weil ich noch nie dort war. Ich möchte vermuten, dass schon die Luft dort anders ist und das Wetter und die Beschaffenheit der Dinge …«
    »Wohl wahr. Aber was gedenkst du dort zu tun?«
    »Nun, Sire«, stammele ich, »ich weiß es nicht genau, aber ich sollte mich besser nicht als armer Wanderer, der niemanden kennt, dort hinbegeben. Und ich habe mich gefragt, ob nicht in den Wochen meiner Anwesenheit dort … ob meine medizinische Kunst nicht vielleicht auf irgendeine Weise von Nutzen sein könnte … falls ich vorgestellt würde –«
    »Ich verstehe. Du wünschst, am Hofe von König Louis, meinem Cousin, empfangen zu werden?«
    »Ich weiß, das ist sehr anmaßend. Es ist lediglich ein Gedanke, dass ich Seiner Majestät, le roi, von gewissem Nutzen sein könnte …«
    »Erinnerst du dich noch, dass ich dir, als du zum ersten Mal zu mir kamst, die Sorge um meine Hunde anvertraute?«
    »Sehr gut erinnere ich mich daran, Sire.«
    »Du hast meine kleine Lou-Lou vor dem frühzeitigen Tod bewahrt, und dafür belohnte ich dich. Du könntest dieselbe Aufgabe für Louis übernehmen, doch bedauerlicherweise mag er Hunde nicht. Die Franzosen kennen nicht unsere empfindsame Liebe zu den Tieren. Nun ist mein Cousin jedoch von einer großen Menge liebedienerischer Bittsteller umgeben. Und diese sind so ängstlich bemüht darum, dass ihr König, den sie für einen Halbgott halten, sie anerkennen oder belohnen möge, dass wir durchaus vermuten können, dass ihre armen Herzen in einiger Bedrängnis sind. Weshalb womöglich du – vor allen anderen – dort von großem Nutzen sein könntest, indem du Arznei für die Herzen der plaideurs ersinnst.«
    Obgleich mich die Formulierung des Königs »du, vor allen anderen« ein wenig verwirrt, zwinge ich mich zu nicken und ihm mit einer Verbeugung beizupflichten.
    »Du musst begreifen, Merivel, dass der Hof in Versailles so unermesslich groß ist, dass er alles ihn Umgebende verdunkelt. Er ist Frankreich. Mein armes Whitehall mitsamt meinen eingeschränkten Machtbefugnissen als König von England ist ein Nichts im Vergleich zu Louis’ Universum. Welches ein Weltwunder ist. Wusstest du, dass sechsunddreißigtausend Menschen an seiner Errichtung beteiligt waren?«
    »Nein, Sire.«
    »Sechsunddreißigtausend Männer! Und was die Gärten angeht, so wurden ganze Wälder in der Normandie entwurzelt und Baum für Baum dorthin geschleppt. Ich glaube, Versailles ist von größerem Ehrgeiz besessen als das antike Rom. Und ich bin der Meinung, du solltest dich dort hinbegeben und seine Schönheit und sein ehrgeiziges Brennen selbst erleben.«
    Ich will gerade stammeln, wie glücklich ich darüber wäre, in Versailles empfangen zu werden, als der König unvermittelt sein Glas absetzt und sich erhebt. Ich sehe mich genötigt, seinem Beispiel zu folgen, bemühe mich aus meinem Sessel und lasse versehentlich meinen Fasan auf den Boden fallen.
    »Ich werde darüber nachdenken, wie es für dich in Versailles sein könnte«, sagt er. »Das vordringliche Problem wird sein, dass niemand über deine Scherze lachen wird. Die Franzosen haben einen eher düsteren und unbarmherzigen Witz, und Louis besitzt keinerlei Sinn für Humor. Doch nun möchte ich dir etwas zeigen. Folge mir.«
    Diener eilen an die Seite des Königs, doch er scheucht sie fort. Und ich bemerke jetzt, dass er beim Gehen sehr leicht hinkt, indem er das rechte Bein bevorzugt belastet, und doch schreitet er entschieden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher