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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Autoren: P. D. James
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gemacht. Es war inzwischen stockfinster und die Dunkelheit undurchdringlich wie Nebel. Doch dann brach der Mond durch die Wolken, und er sah am Straßenrand ein Pub, außer Betrieb und halb verfallen, zwei Backstein-Cottages, aus deren Fenstern schwaches, durch die Gardinen gedämpftes Licht fiel, und einen windschiefen Baum. An dessen Stamm hing ein weißer Fetzen Papier, vermutlich der Rest eines früher dort angeschlagenen Plakats, und flatterte so traurig wie ein gefangener Vogel. Zu beiden Seiten der Fahrbahn dehnte sich das öde Land windgepeitscht und unheimlich im kalten Mondlicht.
    Er fuhr weiter. Die Straße mit ihren vielen Kurven und Kehren schien ihm endlos lang. Der Wind frischte jetzt erst recht auf und begann unsanft an der Karosserie zu rütteln. Doch da kam endlich auf der rechten Seite die Abzweigung nach Bradwell-on-Sea, und gleich darauf fuhr er auch schon an den ersten, dem Dorf vorgelagerten Gehöften vorbei und sah vor sich den gedrungenen Kirchturm und die Lichter des Pubs. Noch eine letzte Kurve, und nun steuerte er auf den Streifen Sumpfland zu, hinter dem das offene Meer lag. Dauntseys Wagen war nirgends zu sehen, und Daniel hatte keine Ahnung, wer von ihnen als erster in Othona House ankommen mochte. Er wußte bloß, daß die Fahrt dort für sie beide zu Ende sein würde.

66
    Dauntsey öffnete die Tür zum Rücksitz. Nach der beklemmenden Dunkelheit, dem Benzingestank, der muffigen Decke und nicht zuletzt dem Geruch ihrer eigenen Angst war es für Frances eine Wohltat, die frische, mondklare Luft im Gesicht zu spüren. Sie hörte nichts außer dem Ächzen des Windes und sah nur die dunkle Gestalt, die sich jetzt über sie beugte. Gabriels Hände streckten sich ihr entgegen, und während er sie von dem Knebel befreite, streiften seine Finger flüchtig ihre Wange. Dann bückte er sich und nestelte den Riemen auf, mit dem ihre Füße gefesselt waren. Es schienen ganz einfache Knoten zu sein, die sie leicht selbst hätte lösen können, wenn sie nur die Hände frei gehabt hätte. Jedenfalls brauchte er den Gurt nicht durchzuschneiden. Oder hatte er vielleicht gar kein Messer dabei? Aber sie bangte eigentlich ohnehin nicht mehr um ihr Leben. Sie wußte jetzt, daß er sie nicht hierhergebracht hatte, um sie zu töten. Er hatte etwas anderes im Sinn, etwas, das ihm wichtiger war als sie.
    Als er sie ansprach, war seine Stimme so normal und freundlich wie die, die Frances seit Jahren kannte, der sie vertraut und die sie so gern gehört hatte. »Wenn du dich umdrehst«, sagte er, »dann komme ich leichter an deine Hände dran.«
    Es hätte ihr Erretter sein können und nicht ihr Wärter, der zu ihr sprach. Sie wälzte sich herum, und er brauchte wirklich nur ein paar Sekunden, um sie auch von der letzten Fessel zu befreien. Sie versuchte, die Beine aus dem Wagen zu strecken, aber die waren ganz steif und taub und gehorchten ihr nicht. Als Gabriel das sah, wollte er ihr hilfsbereit die Hand reichen.
    »Rühr mich nicht an!« sagte sie.
    Sie brachte die Worte nur undeutlich heraus. Der Knebel war doch fester gewesen, als sie gedacht hatte, und jetzt konnte sie die Kiefer nur unter großen Schmerzen bewegen. Aber er hatte sie wohl doch verstanden, denn er trat sofort zurück und beobachtete still, wie sie mühsam aus dem Wagen rutschte, sich aufrichtete und Halt suchend gegen die Karosserie lehnte. Das war der Moment, auf den sie hingearbeitet hatte, ihre Chance, ihm zu entfliehen, egal wohin. Aber er hatte sich abgewandt, und sie wußte, daß sie nicht mehr wegzurennen brauchte, ja, daß ein Fluchtversuch ganz sinnlos gewesen wäre. Er hatte sie notgedrungen hierher mitgenommen, aber jetzt war sie ihm nicht mehr gefährlich, war bedeutungslos für ihn, denn seine Gedanken waren längst woanders. Sie konnte natürlich immer noch versuchen, auf ihren halb tauben Beinen davonzuhumpeln, aber er würde sie weder daran hindern noch ihr folgen. Er entfernte sich ein paar Schritte vom Wagen und hielt den Blick wie gebannt auf die dunklen Umrisse eines Hauses gerichtet. Für ihn war dies das Ende einer langen, langen Reise.
    »Wo sind wir hier?« fragte sie. »Was ist das für ein Anwesen?«
    Und mit sorgsam beherrschter Stimme antwortete er: »Othona House. Ich bin gekommen, um Jean-Philippe Etienne zu sprechen.«
    Gemeinsam gingen sie die Auffahrt entlang bis zum Eingang. Gabriel läutete. Selbst durch die starken Eichenbohlen konnte sie die Klingel drinnen anschlagen hören. Sie brauchten nicht lange zu
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