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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Autoren: P. D. James
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Schließlich war es nichts Ungewöhnliches, auf der Themse das Tuckern einer Fähre zu hören. Aber nach der Tat mußte Dauntsey das Boot wieder an seinen Platz zurückbringen, schon deshalb, weil er nicht sicher sein konnte, daß in der Kabine nicht irgendeine Spur seines Opfers, und sei sie noch so unbedeutend, zurückgeblieben war; besonders dann nicht, wenn Esme Carling sich vielleicht gewehrt hatte und es zum Kampf gekommen war. Sein Plan stand und fiel aber damit, daß niemand die Fähre mit dem Tod der Schriftstellerin in Verbindung brachte.
    Sie war mit dem Taxi zu dieser letzten verhängnisvollen Verabredung gekommen. Bestimmt hatte Dauntsey ihr das vorgeschlagen, und sicher stammte von ihm auch der Rat, sich am Ende der Innocent Passage absetzen zu lassen. Dort hatte er dann, im Schatten des Eingangs, auf sie gewartet. Was hatte er ihr wohl erzählt? Daß sie sich ungestörter unterhalten könnten, wenn sie aufs Boot hinuntergingen? Sicher hatte er das Manuskript und ihren Brief an die vier Gesellschafter schon vorher in der Kabine bereitgelegt. Was mochte er sonst noch dort deponiert haben? Einen Strick, um das ahnungslose Opfer zu erdrosseln, oder einen Schal, einen Gürtel? Aber wahrscheinlich hoffte er darauf, daß sie wie üblich ihre Schultertasche mit dem kräftigen langen Riemen dabeihaben würde, die Tasche, mit der er sie gewiß oft genug gesehen hatte.
    Und jetzt malte sich Daniel, den Blick auf die Fahrbahn gerichtet und die Hände locker auf dem Lenkrad, im Geiste die Szene in der engen Kabine aus. Wie lange mochten sie wohl geredet haben? Vielleicht überhaupt nicht. Daß sie ihn in Innocent House gesehen hatte, wie er mit dem Staubsauger die Treppe hinunterkam, das mußte die Carling Dauntsey schon am Telefon erzählt haben. Das war ihr ja gerade zum Verhängnis geworden. Und es genügte. Weiter brauchte er nichts von ihr zu wissen. Das leichteste und auch sicherste wäre gewesen, keine Zeit mit Reden zu verlieren. Daniel sah förmlich, wie Dauntsey ein wenig beiseite ging, um ihr höflich den Vortritt in die Kabine zu lassen. Sie trug die Tasche über der Schulter. Ein rascher Griff, ein kräftiger Ruck, und er hatte den Riemen als Schlinge in der Faust. Dann der Sturz und der zappelnde, zuckende Körper auf dem Kabinenboden, die alten welken Finger, die sich nutzlos an die Lederschlinge klammerten, während Dauntsey sie mit beiden Händen unerbittlich festzurrte. Wenigstens eine Sekunde lang würde ihr die fürchterliche Erkenntnis gedämmert haben, bevor eine gnädige Ohnmacht ihren Geist für immer in schwarze Nacht tauchte.
    Und der das getan hatte, war der Mann, hinter dem er jetzt herfuhr, um ihn zu warnen, nicht, weil es etwa noch eine Rettung für ihn gab, sondern weil selbst der grausame Tod Esme Carlings ihm nur als ein kleiner, ja vielleicht sogar unvermeidlicher Teil einer großen, allumfassenden Tragödie erschien. Ihr Leben lang hatte diese Frau Kriminalgeschichten fabriziert, hatte sich ungeniert den Zufall zunutze gemacht, Fakten so arrangiert, daß sie mit der Theorie übereinstimmten, hatte ihre Figuren manipuliert und vom Schreibtisch aus ihre vermeintliche Macht über das Schicksal genossen. Esme Carlings Tragik war es gewesen, daß sie am Ende die fiktive mit der realen Welt verwechselt hatte.
    Daniel hatte die Ortsausfahrt von Maldon längst hinter sich und war schon vor einer ganzen Weile von der B 1018 nach Süden abgekommen, als er merkte, daß er sich verfahren hatte. Zuvor hatte er kurz auf einem Parkplatz gehalten und hastig, um nur ja keine wertvolle Zeit zu verlieren, auf der Karte nachgesehen. Der kürzeste Weg nach Bradwell-on-Sea führte über die B 1018, mit einem Abzweig nach links und durch die Dörfer Steeple und St. Lawrence. Rasch hatte er die Karte wieder zusammengefaltet und war weiter durch die vom Dunkel verhüllte trostlose Landschaft gefahren. Aber die Straße, die im übrigen breiter war als erwartet, hatte zwei Abzweigungen nach links, woran er sich von der Karte her nicht erinnerte, und das erste Dorf kam und kam nicht in Sicht. Ein Instinkt – einer, der ihm seit jeher rätselhaft war – sagte ihm schließlich, daß er nach Süden statt, wie es richtig gewesen wäre, nach Osten fuhr. Er hielt an einer Kreuzung, um sich anhand des Wegweisers zu orientieren, und las im Scheinwerferlicht den Namen Southminster. Also doch! Irgendwie war er irrtümlich auf eine nach Süden führende Parallelstraße geraten und hatte nun einen ärgerlichen Umweg
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