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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Autoren: P. D. James
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hinter den Stuhl zu stellen, wie ein Angeklagter im Gerichtssaal. Falls du als Richter gekommen bist, Dauntsey, dann solltest du auch wissen, daß es üblich ist, zuerst die Plädoyers zu hören und das Urteil erst dann zu fällen, wenn die Geschworenen auf schuldig erkennen.«
    »Oh, der Prozeß hat bereits stattgefunden. Den habe ich über vierzig Jahre lang geführt. Jetzt verlange ich nur noch dein Geständnis. Gibst du zu, daß du meine Frau und meine Kinder den Deutschen ausgeliefert hast, ja, daß im Grunde du es warst, der sie nach Auschwitz und in den sicheren Tod geschickt hat?«
    »Nenn mir die Namen.«
    »Sophie Dauntsey war meine Frau, und Martin und Ruth hießen die Zwillinge. Aber damals lebten sie unter dem Namen Loiret. Sie hatten gefälschte Papiere. Und du warst einer der wenigen, die das wußten, die wußten, daß die drei Juden waren und auch, wo sie Unterschlupf gefunden hatten.«
    Etienne versetzte ruhig: »Die Namen sagen mir gar nichts. Aber wie kannst du auch erwarten, daß ich mich heute noch daran erinnere? Das waren ja nicht die einzigen Juden, die ich beim Vichy-Regime und bei den Deutschen angezeigt habe. Wie sollte ich mich heute noch an einzelne Namen oder Familien erinnern? Seinerzeit habe ich getan, was ich tun mußte. Schließlich war ich verantwortlich für das Leben vieler meiner Landsleute. Und ich war auf das Vertrauen der Deutschen angewiesen, damit man mir weiter die Papierzuteilung bewilligte und alles, was ich sonst noch für meine Untergrundzeitung brauchte. Aber davon einmal abgesehen – wie kannst du ernsthaft erwarten, daß ich mich nach fünfzig Jahren noch an eine bestimmte Frau und ihre zwei Kinder erinnere?«
    Dauntsey sagte: »Ich erinnere mich an sie.«
    »Und jetzt bist du also gekommen, um Rache zu nehmen, ja? Rache ist süß, ich weiß, aber glaubst du wirklich, daß das auch noch nach fünfzig Jahren gilt?«
    »Hier geht es nicht um Rache, Etienne, sondern um Gerechtigkeit.«
    »Aber mach dir doch nichts vor, Gabriel. Natürlich willst du dich rächen. Wenn du Gerechtigkeit wolltest, dann brauchtest du doch nicht dieses theatralische Finale zu inszenieren und mir deine Greueltaten zu offenbaren. Aber bitte, wenn es dein Gewissen beruhigt, dann nenn es meinetwegen auch Gerechtigkeit. Nur ist das ein großes Wort, Gerechtigkeit – hoffentlich weißt du auch, was es bedeutet. Ich für meinen Teil bin mir da nicht so sicher. Aber vielleicht kann uns der Vertreter des Gesetzes ja weiterhelfen.«
    Daniel sagte tonlos: »Es bedeutet Auge um Auge, Zahn um Zahn.«
    Dauntsey sah Jean-Philippe unverwandt an. »Ich habe nicht mehr genommen als du, Etienne. Einen Sohn und eine Tochter für einen Sohn und eine Tochter. Du hast auch noch meine Frau ermordet, doch deine war schon tot, als ich die Wahrheit erfuhr.«
    »Ja, sie war vor deiner Bosheit sicher. Und vor der meinen.«
    Die letzten Worte hatte er so leise gesprochen, daß Frances nicht sicher war, ob sie sie tatsächlich gehört hatte.
    Gabriel fuhr unbeirrt fort. »Du hast meine Kinder getötet; ich tötete die deinen. Ich habe keine Nachkommen; nun wirst du auch keine haben. Nach Sophies Tod konnte ich keine andere Frau mehr lieben. Ich glaube nicht an den Sinn des Lebens oder daran, daß es nach dem Tode irgendwie weitergeht. Und da es nach meiner Überzeugung keinen Gott gibt, kann es auch keine göttliche Gerechtigkeit geben. Wir müssen uns unsere eigene Gerechtigkeit schaffen, und zwar hier im Diesseits. Ich habe fast fünfzig Jahre dazu gebraucht, aber jetzt habe ich meine Gerechtigkeit bekommen.«
    »Nur wäre es wirkungsvoller gewesen, wenn du schon früher gehandelt hättest. Mein Sohn hatte immerhin seine Jugend. Er hatte Erfolg, erfuhr die Liebe der Frauen. Das alles konntest du ihm nicht wegnehmen. Deine Kinder aber hatten nichts dergleichen. Gerechtigkeit sollte ebenso rasch wie wirkungsvoll sein. Die wahre Gerechtigkeit wartet keine fünfzig Jahre.«
    »Was hat denn Zeit mit Gerechtigkeit zu tun? Die Zeit raubt uns unsere Kraft, unser Talent, die Erinnerungen und Freuden, ja irgendwann sogar die Fähigkeit zu trauern. Warum sollten wir uns da auch noch das Verlangen nach Gerechtigkeit von ihr nehmen lassen? Ich mußte mir meiner Sache erst ganz sicher sein, auch das gehört zur Gerechtigkeit. Es hat mich allein zwanzig Jahre gekostet, zwei der wichtigsten Zeugen ausfindig zu machen. Doch selbst dann hatte ich keine Eile. Zehn oder mehr Jahre in Haft, das hätte ich nicht ausgehalten, und jetzt
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