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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale
Autoren: Christian Foersch
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fühlte. Lunaus Flug ging am nächsten Morgen.
    Silvia öffnete und lächelte Lunau mit ihren vollen, rubinrot geschminkten Lippen an. Sie trug ein grünes Samtkleid, das sich an ihre Brüste und Hüften schmiegte und an den richtigen Stellen im gedämpften Licht des Hausflures glänzte. Er überreichte ihr die Weinflasche, die er nach langer Beratung gekauft hatte.
    Sie presste ihm rechts und links einen Kuss auf die Wange, er spürte ihren warmen, duftenden Atem, als sie sagte: »Die Kinder schlafen schon.«
    Sie schaute auf das Etikett und ließ den Mund offen stehen.
    »Aber das ist doch …«
    Lunau starrte auf die Lippen und fragte sich wieder, ob sie nicht vielleicht doch natürlich waren. Er winkte ab: »Lassen Sie ihn ein bisschen atmen.«
    »Nur wenn Sie ein Glas mittrinken.«
    Aus den geplanten vier Tagen in Ferrara waren fast zwei Wochen geworden. Zwei Wochen lang hatte er sich zusammengerissen. Er dachte an den schlanken, weißen Körper Amandas, an die Fläschchen in der Minibar, die jeden Abend geklingelt hatten. Er konnte einigermaßen zufrieden sein mit sich und seiner Arbeit. Das kam nicht oft vor.
    »Besser nicht«, sagte er.
    Sie goss den Inhalt der Flasche in einen Dekanter, und sofort stieg das blumige Aroma in Lunaus Nase.
    »Ich will Sie nicht zwingen. Aber Sie sollten zumindest die Chance dazu haben.«
    Sie stellte das bauchige Gefäß auf ein Tablett, dazu zwei Weingläser, dann ging sie voraus ins Wohnzimmer, ließ ihn auf dem Sofa Platz nehmen, stellte eine CD an und setzte sich dicht neben ihn. Es war unangenehm, so miteinander zu reden, aber angenehm war ihr warmer Körper, der nach Pinienholz und Zimt duftete und auf jede zufällige Berührung der Schultern mit einem weichen, aber entschlossenen Widerstand reagierte. Im Hintergrund liefen Vivaldis »Vier Jahreszeiten«. Lunau konnte ganz selten noch Musik ertragen, aber Vivaldi hatte er früher schon nicht ertragen. Jetzt mochte er ihn.
    Silvia schaute ihn direkt an, trank vor seinen Augen und merkte, wie sehr er gegen die Versuchung kämpfte mitzutrinken.
    »Sie sind ein komischer Kerl«, sagte sie. »So eine Art Säulenheiliger, oder?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Warum haben Sie das alles getan?«
    »Ich mochte Ihren Mann.«
    Diesmal schüttelte sie den Kopf, wurde ernst. Ein dunkler Schatten huschte über ihre Stirn, und dann wandte sie sich wieder Lunau zu. »Das nehme ich Ihnen nicht ab. Wieso haben Sie so viel aufs Spiel gesetzt? Die Geschichte ging Sie doch nichts an.«
    »Mich interessiert nur die Wahrheit.«
    »Warum?«
    Er zögerte und lachte verlegen. »Im Zweifelsfall ist immer die Kindheit Schuld.«
    »Jetzt bleiben Sie ernst.«
    Sie war fast aggressiv geworden. Eine Furche hatte sich über ihrer Nasenwurzel gebildet, und ihre Augen ließen Lunau nicht entwischen.
    »Ihre Eltern sind berühmte Musiker«, sagte sie.
    »Ich wäre es auch fast geworden.«
    »Sehen Sie. Sie hätten ein komfortables Leben führen können. Warum haben Sie nicht weitergemacht?«
    »Womit?«
    »Mit der Musik.«
    »Es klang alles falsch für mich.«
    Sie stellte das Glas ab und lehnte sich zurück, schaute an die Decke.
    »Sie wollen es mir nicht sagen. Sie haben immer noch kein Vertrauen zu mir?«
    Er lehnte sich über sie. Er wollte nicht reden. Er wollte ihren Mund küssen, ihre Wärme und Weichheit spüren. »Doch, ich vertraue Ihnen.«
    »Dann zeigen Sie es. Ich möchte nicht, dass Sie morgen abreisen«, sagte Silvia Di Natale.
    »Ich habe keine andere Wahl«, antwortete Lunau.
    »Sind Sie sicher?«
    Er nickte. »Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«
    »Nein. Sie haben meine nicht beantwortet.«
    Er griff nach ihrer Schulter und ließ die Hand dort liegen. Das Samtkleid knisterte sanft. Sie schob seine Hand weg.
    »Was ist?«, fragte er.
    Er ließ sich nach hinten fallen. Er konnte nicht verhindern, dass Veras Gesicht vor ihm auftauchte, ihre besorgte Stimme am Telefon: »Was ist denn? Fieber?« Niemand wusste, was an jenem Tag wirklich geschehen war. Aber Lunau wusste ein bisschen mehr als alle anderen.
    »Ich war damals elf«, sagte er. Silvia nahm den Weinkelch und drehte ihn in ihrer Handfläche.
    »Ich war in Chopin verliebt. In seine Etüden. Die sind technisch äußerst schwierig. Meine Eltern waren in Brasilien auf Konzertreise und sollten zwei Tage später wiederkommen.«
    Silvia stellte das Glas ab, stützte sich mit dem Ellbogen auf die Rückenlehne des Sofas und legte den Kopf in die Hand. Sie schaute Lunau an und verunsicherte
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