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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale
Autoren: Christian Foersch
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Kolonien. Die toten Tiere verbreiteten einen Geruch von Apotheke und vergammeltem Leder.
    »Ich frage mich, warum dieses so harmonische Gefüge zerbrochen ist. Sie hatten eine perfekte Geldmaschine konstruiert. Konnte tatsächlich ein einziger blauäugiger Eindringling für dieses Desaster sorgen? Hatte Di Natale so viel Kraft?«
    Gasparotto sprach noch immer nicht. Er stand hinter seinem Schreibtisch und stützte sich auf die gespreizten Finger. »Wenn Sie mir nichts Wichtiges mitzuteilen haben, dann möchte ich Sie bitten, mein Haus zu verlassen.«
    »Soweit ich weiß, ist es das Haus Ihrer Mutter«, sagte Lunau. Er hatte plötzlich Lust, diesen verknöcherten, dünkelhaften Popanz durchzuschütteln.
    »Ich muss zugeben, dass ich Ihre Intelligenz unterschätzt hatte«, sagte Lunau. »Wie Sie mir Pirri ans Messer geliefert haben, das war äußerst schlau.«
    »Ich bin kein Verräter.«
    »Wie gesagt, es war subtil, fast stilvoll. Verrat war es trotzdem. Eiskalt berechnet, begangen an Ihrem langjährigen Komplizen und Freund.«
    Gasparotto zog eine Grimasse. »Freund«, sagte er verächtlich.
    »Sicher, politisch stehen Sie wahrscheinlich auf verschiedenen Seiten der Barrikade … Aber deswegen einen Unschuldigen ans Messer zu liefern.«
    Gasparotto ließ sich in seinen Sessel fallen. »Unschuldig … Sie wissen nichts über dieses Land. Wissen Sie, was Verrat ist?«
    Lunau schwieg.
    »Wenn man sich aus Bequemlichkeit oder Feigheit vor seinen Pflichten drückt.«
    »Ich verstehe nicht recht.«
    »Pirris Vater. Als er für das Vaterland die Waffe in die Hand nehmen sollte, verkroch er sich in irgendeinem Heuschober. Ein Landstreicher, der den Bauern die letzten Kartoffeln stahl und den ehrenwerten Landsleuten, die ihren Dienst taten, aus dem Hinterhalt in den Rücken schoss.«
    »Soweit ich weiß, war Pirris Vater einer der mutigsten Partisanen.«
    »Mutig ?«, schrie Gasparotto. »Ein Lynchmörder, der für seine Untaten nie gebüßt hat. Im Gegenteil, man hat ihm noch politische Ämter und Privilegien in den Rachen geworfen. Dass dieser Mann zum Senator der Republik erklärt wurde, disqualifiziert unsere gesamte Nachkriegsgeschichte.«
    »Er war nicht der einzige Partisan, der eine politische Karriere machte.«
    »Er war derjenige, der meinen Vater umgebracht hat.«
    Lunau schwieg und schaute Gasparotto an, dessen graue Wangen jetzt einen flammenden Schimmer hatten.
    »Und das haben Sie erst jetzt erfahren?«
    Gasparotto schüttelte den Kopf. »Alle wussten es. Schon in den ersten Nachkriegsjahren. Nachdem die Kommandos die Diener der Republik von Salò abgeholt und gelyncht hatten.«
    »Und Aroldo Pirri gehörte zu so einem Kommando?«
    »Er war der Anführer in diesem Abschnitt. Mein Vater wurde einfach in irgendeinem Erdloch verscharrt. Wie Tausende andere.«
    »Man hat Pirri nie vor Gericht gestellt?«
    Gasparotto machte eine verächtliche Geste. »Man hat die Leiche nie gefunden, wie so viele andere nicht. Es gab nicht einmal eine ernsthafte Ermittlung.«
    »Ich weiß, dass viele Partisanen von den Justizbehörden verfolgt wurden. Viele haben im Gefängnis gesessen«, sagte Lunau.
    »Das steht in den Geschichtsbüchern, die von Kommunisten geschrieben wurden. Wenn es wirklich brenzlig wurde, tauchten sie unter, ja dienten sich sogar dem Ostblock an, der Tschechoslowakei oder der Sowjetunion. Verrieten unser Land ein zweites Mal.«
    »Pirri blieb hier.«
    Gasparotto ging auf Lunau zu. »Ich möchte Sie bitten zu gehen.«
    »Wieso soll sein Sohn für diese Taten büßen?«
    »Sein Sohn hat sein Leben lang von diesen Privilegien gezehrt. Hat ein lasterhaftes Leben geführt, dank der Meuchelmorde seines Vaters. Und kaum hatte er alles durchgebracht, war er bereit, selbst zum Mörder zu werden.«
    »Er hat keinen Mord begangen.«
    »Auch Selbstmord ist Mord. Vor allem, wenn er aus so niederen Beweggründen geschieht. Weil man sich seiner Verantwortung nicht stellen mag.«
    »Und Sie tun das?«
    Gasparotto reckte das Kinn empor. »Ich lebe anspruchslos. Was ich tue, tue ich für unser Land. Ich will nur Gerechtigkeit. Bitte …«
    Er wies Lunau den Weg zur Tür.
86
    Es war spät geworden, als Lunau am Haus Di Natales klingelte, viel später als geplant. Auch an diesem Montag war Lunau nicht aus Ferrara weggekommen. Er hatte den Leihwagen abgegeben, die Hotelrechnung beglichen, sich von Amanda und Balboni verabschiedet. Ja, er hatte sogar mit Erica Pirri geredet, obwohl er sich auch am Tod ihres Mannes mitschuldig
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