Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Achtung Kurven

Achtung Kurven

Titel: Achtung Kurven
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
theoretischen Unterricht?«
    »In der nächsten Woche. Ich muß erst jemand finden, der mich in die Stadt fährt.«
    »Sie haben doch Ihren Roller.«
    »Eben nicht, den hat der Tankwart zuschanden gefahren.«
    Sie öffnete die Tür und stieg aus dem Wagen. Er nickte ihr zu, sie nickte einen Gruß zurück und ging davon. Er schaute ihr nach, bis sie um die nächste Straßenecke verschwand. Frau Zauner, die an der Telefonzelle gewartet hatte, näherte sich dem Wagen und hüstelte diskret.
    »Ah, Frau Zauner... Haben Sie lange warten müssen?«
    »Eine neue Fahrschülerin, Herr Herold?«
    »Ja, es war die erste Fahrstunde...«
    »Ein hübsches Mädchen«, sagte Frau Zauner, »es hat so etwas Herzerfrischendes an sich...«
    »Und ein begabtes Mädchen«, sagte er stirnrunzelnd , »so begabt, daß ich manchmal das Gefühl hatte, sie stelle sich mit Absicht ungeschickt an...«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Das ist es eben, was ich selber wissen möchte.«
    »Sie scheinen heute Ihren kritischen Tag zu haben...«
    »Steigen Sie ein, Frau Zauner, das werden wir gleich feststellen.«
    »Machen Sie es gnädig«, sagte sie und schob den Sitz ein wenig nach vorn, »ich habe heute wirklich genug hinter mir. Manchmal möchte ich auf und davon gehen. Gestern hat der Rudi eine Fensterscheibe eingeschmissen, und heute hat die Monika zu unserer Nachbarin >alte Hexe< gesagt...«
    »Entsetzlich!« grinste er.
    »Sie können leicht lachen«, seufzte sie, »und früher hätte mein Mann dazu auch gelacht. Aber jetzt bringt ihn die Fliege an der Wand in Rage.«

    Oskar Zauner war seit acht Jahren Bezirksvertreter einer bekannten Firma, die hauptsächlich Kindernährmittel herstellte. Es war eine erstklassige Vertretung, die Fabrikate verkauften sich sozusagen von selbst. Die Zauners konnten sich eine komfortable Vierzimmerwohnung am Glacis leisten, von deren Balkon man einen hübschen Blick auf die Parkanlagen der alten Stadtbefestigung hatte. Sie hatten sich, als die Gegend noch unbebaut war, vor der Stadt ein Grundstück von zwölfhundert Quadratmetern gekauft. Inzwischen standen dort Dutzende von hübschen Einfamilienhäusern, und der Bodenpreis war auf das Zehnfache gestiegen. Ein Bausparvertrag über 60 000 Mark war im Februar zuteilungsreif geworden. Und im März passierte das Unglück.
    Auf einem Kundenbesuch geriet Oskar Zauner in eine Geburtstagsfeier hinein. Er trank drei Schoppen Wein und zwei kleine Schnäpse. Auf dem Heimweg, den er nachmittags um fünf antrat, um vor Geschäftsschluß noch einige Kunden mit Waren zu beliefern und rechtzeitig zum Abendbrot daheim zu sein, überfielen ihn wieder einmal die wütenden Magenschmerzen, unter denen er seit einigen Jahren litt, ohne daß die Ärzte festzustellen vermochten, was ihm eigentlich fehlte. Nachdem er hundert Pülverchen, Tropfen und Tabletten durchprobiert hatte, half ihm immer noch der Kräuterextrakt am besten, von dem er ein paar Fläschchen stets bei sich mitführte. Daß es sich dabei um hochprozentigen Alkohol handelte, wußte nur das alte Hutzelweibchen, das auf dem Etikett mit emsigem Fleiß Heilkräuter aller Art in seine Kiebe sammelte, die in einer sonnigen Gebirgslandschaft auf allen Wegen blühten.
    Auf dem Weg zur Stadt hielt Oskar Zauner kurz an, um einen kräftigen Schluck aus dem Wunderpüllchen zu nehmen. Der Heiltrank rann warm in den Magen hinein und dämpfte den bohrenden Schmerz fast augenblicklich. Und der zweite Schluck beseitigte ihn ganz. An der Endstation der Straßenbahn, wo die Schienen in einer großen Schleife wieder zur Stadt zurückliefen, kam ihm ein Radfahrer entgegen. Oskar Zauner drückte das Tempo auf vierzig herunter, da rechts auf dem Gehsteig dreißig oder vierzig Leute, Angestellte der Kartonagenfabrik Reibelt , auf die Straßenbahn warteten. Einige von ihnen standen außerhalb des Trottoirs auf den Schienen. Er zog den Wagen nach links hinüber und hupte. Der Radfahrer fuhr ihm auf der Mitte der anderen Straßenseite entgegen, wo die Trambahnschienen links zur Umkehrschleife und rechts ins Depot abzweigten. Durch das Hupen aufgeschreckt, wurde der Radler für einen Augenblick unsicher, bremste, schleuderte ein wenig, geriet mit dem Vorderrad in die Schiene und stürzte. Oskar Zauner bremste im gleichen Moment mit aller Kraft. Er war davon überzeugt, den Wagen einen guten Meter vor dem gestürzten Radfahrer zum Stehen gebracht zu haben, denn er hörte kein Geräusch, das darauf schließen ließ, daß es zu einer Karambolage gekommen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher