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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando
Autoren: Charles Stross
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Sie
kennen zu lernen. Wünsche persönlichen Kontakt,
Freundschaft schließen, nein? Habe viel anzubieten.«
    »Wer sind Sie?«, wiederholt Manfred
argwöhnisch.
    »Bin Organisation früher bekannt als KGB dot
RU.«
    »Ich glaube, Ihr Übersetzungsprogramm funktioniert nicht
richtig.« Manfred hält sich das Handy so vorsichtig ans
Ohr, als wäre es aus hauchdünnem Aerogel und so fragil wie
der Geisteszustand des Wesens am anderen Ende der Leitung.
    »Njet – nein, tut mir Leid. Entschuldigung, wir
nicht benutzen kommerzielle Software für Übersetzung.
Übersetzerprogramme ideologisch suspekt, haben fast alle
kapitalistische Semiotik, und Anwendung ist gebührenpflichtig.
Müssen Englisch besser implementieren, ja?«
    Manfred trinkt sein Bier aus, stellt das Glas ab, steht auf und
schlendert mit dem Handy dicht am Ohr die Hauptstraße hinab. Er
befestigt sein Kehlkopf-Mikro an dem billigen schwarzen
Plastikgehäuse und schaltet auf einfachen
Sprachempfänger-Modus. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie
sich selbst Englisch beigebracht haben, nur um mit mir reden zu
können?«
    »Da, war leicht. Bin neuronales Netzwerk mit
Milliarden Knotenpunkten, habe Teletubbies und Sesamstraße mit maximaler Geschwindigkeit
heruntergeladen. Entschuldigung, Verzeihung für entropische
Überlagerung mit schlechte Grammatik. Habe Angst, ich digitale
Fingerabdrücke hinterlasse in meine – unsere –
steganografisch ausgestattete Lernprogramme.«
    Manfred bleibt so plötzlich stehen, dass ein GPS-gesteuerter
Rollschuhfahrer ihn um ein Haar umgemäht hätte. Das hier
wird langsam so verrückt, dass es seine Toleranzgrenze für
Schräges überschreitet – und dazu braucht es einiges.
Schließlich spielt sich Manfreds ganzes Leben am
gefährlichen Rand von Seltsamkeiten ab; er ist der Zukunft jedes
anderen Menschen stets eine Nasenlänge voraus und hat
normalerweise alles perfekt im Griff. Doch bei Vorfällen wie
diesem bekommt er Anflüge von Angst und das Gefühl, er
könnte auf der Zufahrtsstraße zur Realität die
richtige Abfahrt soeben verpasst haben. Ȁh, ich bin mir
nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe, lass es mich noch
einmal rekapitulieren: Du behauptest also, eine Art Künstliche
Intelligenz zu sein, die für den KGB dot RU arbeitet, und
befürchtest, man könnte dich aufgrund von dir genutzten
Lernprogrammen juristisch belangen, und zwar wegen Verletzung von
Urheberrechten?«
    »Habe mir schlimm Finger verbrannt, an virenverseuchten
Lizenzvereinbarungen für Endverbraucher. Habe keine Lust zu
experimentieren mit Dachgesellschaften für Patentrechte in der
Hand von tschetschenischen Info-Terroristen. Sie Mensch, Sie keine
Angst haben müssen, dass Firma für
Frühstücksflocken beschlagnahmt Ihren Dünndarm, weil
Sie damit ohne Lizenz haben Essen verdaut, richtig? Manfred, Sie
müssen uns – mir – helfen. Möchte zum Feind
überlaufen.«
    Manfred bleibt wie angewurzelt auf der Straße stehen.
»O Mann, du hast den falschen Geschäftsmakler erwischt. Ich
arbeite nicht für die Regierung, sondern ausschließlich
für private Kunden.« Eine hinterhältige Werbung
schleicht sich an dem Müllsortierer seines Proxy-Servers vorbei
und überschwemmt das aufblinkende Navigationsfenster einen
Moment lang mit leuchtendem Kitsch der Fünfzigerjahre – bis
ein Spam-Fresser sie löscht und einen neuen Filter aufbaut.
Manfred lehnt sich gegen eine Ladenfront, massiert sich die Stirn und
mustert eine Auslage antiker Türklopfer aus Messing. »Hast
du’s schon beim amerikanischen Außenministerium
probiert?«
    »Warum Mühe machen? Außenministerium ist Feind von
Novy-SSR. Außenministerium keine Hilfe für uns.«
    Das Ganze wird Manfred jetzt einfach zu bizarr. Er hat bei der
übergreifenden Politik des neuen alten und des alten neuen
Europa nie so richtig durchgeblickt. Es bereitet ihm ja schon
Kopfschmerzen, der zerbröckelnden Bürokratie, die sich sein
altes und immer noch altmodisches Amerika bewahrt hat, ein
Schnippchen zu schlagen. »Na ja, wenn ihr denen in den
späten Nullerjahren keinen Schuss vor den Bug versetzt
hättet…« Manfred klopft mit dem linken Absatz auf das
Pflaster und sucht nach irgendeinem Weg, dieses Gespräch so
schnell wie möglich zu beenden. Das Auge einer Kamera, die oben
an einer Straßenlaterne angebracht ist, blinzelt ihm zu. Er
winkt und fragt sich beiläufig, ob der KGB oder die
Verkehrspolizei ihn überwacht. Er wartet auf die Wegbeschreibung
zu der Party, die in der nächsten
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