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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando
Autoren: Charles Stross
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erkunden. Isch ’abe persönlich dazu
beigetragen, dass wir uns jetzt in anderen Bereichen engagieren, in
dem Bau von Unterwasserreaktoren, in der ’erstellung von
Mikroschwerkraft-Nanotechnologie und im ’otel-Management.«
Während sie die Firmenpolitik herunterbetet, ist ihr Gesicht
eine glatt polierte Maske, doch er spürt den Sarkasmus und die
Belustigung dahinter, als sie fortfährt: »Wir sind
flexibler als die amerikanische Raumfahrtindustrie…«
    Manfred zuckt die Achseln. »Mag sein.« Bedächtig
nippt er an der Berliner Weißen, während sie zu einer
langatmigen, gestelzten Erklärung darüber ansetzt, dass
Arianespace ein breit aufgefächertes dotcom-Unternehmen ist. Man
wolle viele profitable Projekte in der Umlaufbahn vorantreiben und
vermarkten, etwa Schauplätze für Bond-Filme und eine viel
versprechende Hotelkette in niedriger Erdumlaufbahn. Offensichtlich
ist sie nicht von sich aus auf diese Punkte zu sprechen gekommen. Ihr
Gesicht ist viel ausdrucksvoller als ihre Stimme: Wenn es ihr
angemessen erscheint, demonstriert es Langeweile und Skepsis –
ein Signal außerhalb des Protokolls, unsichtbar für ihre
Ohrringe, die die Szene für Arianespace speichern. Manfred
spielt mit, nickt gelegentlich und versucht so auszusehen, als
nähme er das Ganze ernst. Ihre drollige Untergrabung des
offiziellen Codes sorgt weit wirkungsvoller für seine
Aufmerksamkeit als der Inhalt des Marketing-Monologs. Franklin hat
die Nase in sein Bier versenkt. Seine Schultern beben: Angesichts
ihrer gestikulierenden Hände, die ihrer Meinung über die
vorwärts preschenden, unternehmerisch gesinnten Chefs ihres
Arbeitgebers Nachdruck verleihen, bemüht er sich, nicht laut
herauszulachen. Allerdings ist an dem ganzen Quatsch, den sie von
sich gibt, eines richtig: Arianespace wirft immer noch Gewinn ab, und
das liegt an den Hotels und Ferienflügen in die Umlaufbahn. Im
Unterschied zu Lock-Mart-Boeing, einem Unternehmen, das im Bruchteil
einer Sekunde Gläubigerschutz anmelden müsste, sollte das
Pentagon seine Tropfinfusion einstellen.
    Eine weitere Person schlängelt sich an den Tisch heran, ein
dicklicher Typ mit grässlich knalligem Hawaiihemd. In seiner
Brusttasche stecken auslaufende Kugelschreiber. Außerdem hat er
den schlimmsten Ozonloch-Sonnenbrand, den Manfred seit Jahren gesehen
hat. »Hi, Bob«, sagt der Neuankömmling. »Wie
geht’s denn so?«
    »Ganz gut.« Franklin deutet mit dem Kinn auf Manfred.
»Manfred, ich möchte Ihnen Ivan MacDonald vorstellen. Ivan,
Manfred. – Möchtest du dich setzen?« Er beugt sich zu
Manfred vor. »Ivan befasst sich mit Kunst am öffentlichen
Bau, vor allem mit außergewöhnlichen
Betonarbeiten.«
    »Mit der Gummierung von Beton«, sagt Ivan eine Spur zu
laut. »Mit der Gummierung von Beton in Pink.«
    »Ah!« Irgendwie hat er dafür gesorgt, dass Annette
von Arianespace ihre Prioritäten ignoriert. Mit einem Schauder
der Erleichterung gibt sie ihre Rolle als Marketing-Zombie auf und
nimmt, nachdem sie sich ihrer Pflicht entledigt hat, wieder ihre noncorporate identity an. »Sie sind also derjenige, der
den Reichstag mit Gummi überzogen ’at, ja? Und Sie
’aben einen Katalysator für superkritisches Kohlendioxid
und aufgelöste Polymethoxsilane verwendet?« Sie klatscht in
die Hände, ihre Augen strahlen vor Begeisterung.
»Wundervoll!«
    » Was hat er mit Gummi überzogen?«, murmelt
Manfred Bob ins Ohr.
    Franklin zuckt die Achseln. »Fragen Sie nicht mich, ich bin
nur ein Ingenieur.«
    »Er arbeitet nicht nur mit Kalkstein und Sandstein, sondern
auch mit Beton. Er ist brillant!« Annette lächelt Manfred
zu. »Ist es nicht wundervoll, das Symbol der… der
Autokratie mit Gummi zu überziehen?«
    »Und ich dachte schon, ich wäre meiner Zeit
voraus«, bemerkt Manfred wehmütig und fragt Bob, ob er ihm
noch einen ausgibt.
    »Und ich werde auch die Staumauer des Jangtsekiang
gummieren!«, verkündet Ivan laut. »Sobald die Fluten
sinken.«
    Genau in diesem Moment senkt sich eine Übertragungslast,
schwer wie ein schwangerer Elefant, auf Manfreds Kopf und schickt
ungeheure Mengen flackernder Pixilationen durch seinen
Sinnesapparat.
    Fünf Millionen (oder mehr) Geeks drängen auf seine
Homepage, eine blitzartig zusammengetrommelte Menge, die ein Kommando
von der anderen Seite der Bar auf den Plan gerufen hat. Manfred
stöhnt. »Eigentlich bin ich ja hergekommen, um mich
über die kommerzielle Nutzung der Raumfahrt zu unterhalten, aber
man überrennt gerade meine Website.
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