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Abzocker

Abzocker

Titel: Abzocker
Autoren: Lawrence Block
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trug ihr rotes Baumwollkleid, dazu eine einfache Perlenkette, die schwarzen Lederstiefel mit den hohen Absätzen. Und mir wollte sie weismachen, dass sie abhauen wollte.
    Ich fragte, was sie meinte.
    »Ich gehe«, sagte sie. »Ich verlasse dich. Ich lasse dich sitzen, Joe. Dass du mich nicht mehr fesselst, das ist wirklich süß von dir. Also lasse ich dich jetzt einfach sitzen.«
    »Und du kommst nicht zurück?«
    »Ich komme nicht zurück.«
    »Du bist süchtig«, sagte ich. »Du bist ein Junkie. Versuch abzuhauen, und du kommst auf allen Vieren zurückgekrochen. Wem willst du hier eigentlich was vormachen?«
    »Ich bin nicht süchtig.«
    »Und das glaubst du wirklich?«
    »Ich weiß es.«
    »Dann ist ja klar, wem du hier was vormachst«, sagte ich. »Nur dir selbst. Mach’s gut.«
    Sie ging. Und ich wartete darauf, dass sie zurückkam. Wartete, bis der Zeitpunkt, an dem die nächste Spritze fällig war, vorüberging.
    Dann kam sie zurück.
    Sie war vollkommen verändert. Ihr Gesicht war leichenblass wie ein Fischbauch, und ihre Hände zitterten. Ihr ganzer Körper wurde von unkontrollierten Krämpfen geschüttelt. Sie eilte ins Zimmer und warf sich auf einen Stuhl.
    »Du wolltest mich doch verlassen«, sagte ich. »Sag bloß nicht, dass du schon wieder zurück bist. Das war aber eine kurze Reise.«
    »Bitte«, sagte sie. Nur das eine Wort – bitte.
    »Stimmt etwas nicht?«
    »Ich brauche es«, sagte sie. »Ich brauch es, verdammt! Du hattest recht, und ich hatte unrecht. Jetzt gib mir meine Spritze.«
    Ich lachte. Nicht aus Grausamkeit, nicht weil es mir Spaß machte; ich lachte, damit sie sich der vollen Wahrheit stellte. Sie musste begreifen – mit dem Verstand und in ihrem Herzen –, dass sie abhängig war. Je schneller sie es kapierte, desto unwiderruflicher würde sie dem Heroin verfallen.
    Ich sah, wie sie vor Schmerz zusammenzuckte, wie sehr sie das Zeug brauchte. Sie bettelte um die Spritze, und ich tat so, als hörte ich nicht. Ich sah ihr zu, wie sie auf Händen und Knien herumkroch und die Spritze suchte. Ich hatte sie gut versteckt. Sie konnte sie nicht finden.
    Dann stand sie auf und riss sich das teure rote Kleid vom Leib. Sie zog den Büstenhalter und die Unterwäsche aus. Sie nahm ihre Brüste in beide Hände und bot sie mir an.
    »Was du willst«, sagte sie. »Was immer du …«
    Ich holte die Nadel und verpasste ihr die Spritze. Ich sah mit an, wie der Schmerz aus ihren Zügen wich, und streichelte sie, bis sie aufhörte zu zittern. Dann hielt ich sie ganz sanft in den Armen, und sie weinte.
     
    Danach gab sie allen Widerstand auf. Ich musste sie nicht einmal mehr bedrohen, sie stimmte allem zu. Was immer ich verlangte, wurde gemacht. So einfach war das.
    Ein Standesbeamter traute uns in Las Vegas. Er stellte uns die traditionellen Fragen, und ich sagte Ja, und sie sagte Ja, und er erklärte uns zu Mann und Frau. Wir zogen aus dem Dunes in ein Apartment mit drei Zimmern und einer Küche im Norden der Stadt. Sie überwies ihr Geld an eine Bank in Las Vegas und eröffnete ein Konto bei einem hiesigen Börsenmakler.
    Und ich habe eine enge Beziehung zu dem großen Mann aufgebaut, der im Café sitzt und kalten Kaffee trinkt. Alle fünf Tage verkauft er mir für hundert Dollar Kapseln. Alle vier Stunden bekommt Mona ihre Spritze. Sechs Kapseln am Tag. Ein Affe, der dreißig Steine wert ist, würde man unter Junkies sagen. Mich kostet er nur zwanzig Dollar am Tag, denn ich bekomme Großhandelspreise. Ein Großeinkäufer kommt immer besser weg, selbst wenn das Produkt illegal ist.
    Dabei konnte es uns eigentlich egal sein. Zehn Dollar am Tag oder auch zwanzig oder dreißig oder vierzig machten nicht den geringsten Unterschied für uns. Meine Frau besitzt eine ungeheure Menge Geld. Und es sieht so aus, als würde es ewig reichen, weil der Börsenmakler es gut angelegt hat. Einen Teil der Kohle hat er in Wertpapieren angelegt, einen anderen Teil in normalen Aktien und den Rest in sehr einträglichen Immobilien. Allein von den Zinsen können wir im großen Stil leben und brauchen das Kapital überhaupt nicht anzugreifen. Es gibt einen Punkt, wo man aufhört, sein Geld zu zählen. Man nennt es dann Vermögen, nicht mehr Geld. Zehn Dollar, zwanzig Dollar, dreißig Dollar – solche Summen sind Kinkerlitzchen für uns.
    Und ihre Sucht tut nicht weh. Mona ist keine von den Junkies, die ich hin und wieder im Café sehe: hohläugige, zitternde Kreaturen, die mit dem großen Mann feilschen. Für eine
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