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Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Titel: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
Autoren: Ralf Boscher
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Weise wachsen wollten. Man hat meinen Wachstumsversuchen rabiat nachhelfen müssen. Einen stummen Zeugen dieser Zeit bewahre ich noch heute auf: den Abdruck eines Kinderrückens aus Gips, wie er hätte sein sollen, versehen mit mehreren Gurten, die mich an diese Form fesselten, und zwei auf der Unterseite quer genagelten Holzlatten, die verhinderten, dass ich mitsamt meiner Idealform aus dem Bett falle.
    Ich kann mich an diese Jahre im Gipsbett kaum erinnern, geblieben ist mir nur eine verschwommene Erinnerung an höllisches Rückenweh und das beklemmende Gefühl der festgezurrten Gurte auf meiner Brust. Was ich von der damaligen Zeit weiß, weiß ich vor allem aus den Erzählungen meiner Eltern. Die sprachen allerdings gerne über diese für sie sorgenvollen Jahre. So erzählten sie von ihrem Schrecken, als sie das erste Mal meine verkrüppelten Füßchen sahen. Der Herr Doktorhätte die Knochen meiner Füße brechen müssen, um ihnen eine einigermaßen normale Form zu geben. Und wenn ich sie mir heute anschaue und mit den herzerweichenden Photos vergleiche, die Vater gemacht hat, so muss ich sagen, dass er gute Arbeit geleistet hat. Ich humpele nur noch selten. Allerdings juckt es manchmal, wenn das Wetter umschlägt. Aber das macht nichts. Gut erinnere ich mich an einige Momente aus der Zeit, zu der mein Opa noch lebte. Mein Opa mit der Kriegsverletzung und den amputierten Beinen. Da hatte ich Spaß aufgrund dieses Juckens im Fuß. Denn Opa und ich machten ein Spiel daraus, wer als Erster den Wetterwechsel vorhersagen konnte. Nun, meistens gewann er mit seinem untrüglicheren Organ, das dort saß, wo seine Beine einmal gewesen waren, und ich musste ihn dann beim nächsten schönen Wetter ums Dorf fahren. Andere Opas ließen mit ihren Enkeln Drachen steigen, wir verstanden uns auf eine speziellere Weise.
     
    2.
     
    Natürlich wäre es verfehlt, nun anzunehmen, dass meine schönsten Kindheitserlebnisse darin bestehen, wie ich als Krüppelgespann zusammen mit meinem Opa durchs Dorf zog. Ich hatte eine schöne Kindheit. War immer fröhlich. Ich war beliebt bei den anderen Kindern. Sie störten sich nicht an meinen orthopädischen Schwierigkeiten. Es heißt zwar, Kinder könnten sehr grausam sein, aber ich erinnere mich an keinen einzigen Fall, da mich jemand zum Beispiel wegen meines krummen Rückens gehänselt hätte. Außerdem hatte ich einen Hund, ein schönes Tier, groß, herrliche Färbung, weiches Fell. Hasso, ein Schäferhundmischling, gehorchte aufs Wort. Keines von den anderen Kindern hatte einen Hund. Mit mir und meinem Hund zu spielen, war etwas Besonderes. Meine Mutter sagte mir zwar einmal, dass die anderen Kinder nur wegen meines Hundes mit mir spielen würden. »Wer spielt schon gern mit einem Krüppel«, sagte sie, »außer deinem Opa vielleicht.«
    Aber dies hat sie nur so dahin gesagt, weil sie wütend auf mich war. Und so wütend war sie auch nur deswegen, weil sie sich Sorgen um mich machte. Sie hat diese Dinge erfunden, um mich fester an ihre Mutterliebe binden und besser auf mich achtgeben zu können. An ihrer Erleichterung, als meine kleine Schwester, das Nesthäkchen, kerngesund zur Welt kam, konnte ich ihre Sorge um mich ablesen. Es sprach Bände, ihr unbeschwertes Lachen, von Vater auf unzähligen Photos für die Nachwelt festgehalten, wenn sie mein Schwesterlein drückte, sie knuddelte, herzte, sie einfach lieb haben konnte, ohne wie bei mir Angst haben zu müssen, etwas kaputtzumachen . Es muss für sie ein enorm beruhigendes Gefühl gewesen sein, mich Nacht für Nacht, und manchmal auch am Tage, wohlbehalten und sicher im Gipsbett zu wissen.
    Nun, irgendwann gab es dafür keine medizinische Notwendigkeit mehr. Und bei all den Sorgen, die ich meiner Mutter bereitete, ist es wirklich beachtlich, dass es ihr letztlich gelang, die Leine zu lockern. Auch wenn sie diese natürlich nie ganz losließ. Manchmal sah es sogar danach aus, als wenn es ihr am liebsten gewesen wäre, mich mein Leben lang sicher festgezurrt im Gipsbett zu wissen: in ihrer Nähe, unter ihrer Obhut und Kontrolle, fern von den Gefahren dieser Welt.
    Mein Vater war anders. Er sehnte sich nach dem Tag, da ich endlich das Alter erreichen würde, um das Elternhaus verlassen zu können. Besser heute als morgen. Nicht, dass er darüber erfreut gewesen wäre, mich los zu sein. Es war der typisch männliche Gedanke, dass ein Heranwachsender den schützenden Hafen, den heimatlichen Herd verlassen muss, um ein fremdes Land zu
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