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Abschaffel

Titel: Abschaffel
Autoren: Wilhelm Genazino
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mit Zitronen und Zwiebeln und bohrte mit den Händen in einem Blumenkohl. Als die Mutter den Einkaufswagen ein wenig zu heftig nach vorn stieß, kippte das Kind nach hinten um. Sofort sah Abschaffel in den Einkaufswagen hinein, weil er einige Sekunden lang glaubte, das Kind werde nun auslaufen wie eine beschädigte Milchtüte. Das Kind lief nicht aus, sondern krallte sich mit den Händen in den Drahtwänden des Einkaufswagens fest und richtete sich wieder auf. Es bewegte sich so selbstverständlich, als wäre es in einem Einkaufswagen geboren worden.
    An der Haustür, als er seine beiden übervollen Plastiktüten kurz abstellte, um seine Schlüssel zu suchen, traf er Frau Kaiser. Sie steckte ihren Haustürschlüssel rasch vor ihm in das Schloß und öffnete die Tür dann doch nicht. Abschaffel fürchtete, nun in ein Gespräch verwickelt zu werden, in dessen Verlauf sie ihn zwingen würde, über die Gründe seiner langen Abwesenheit ein paar Worte zu verlieren. Da erst sah Abschaffel, daß in ihrer leeren Einkaufstasche eine kleine junge Katze saß. Und von dieser jungen Katze sprach Frau Kaiser sofort. Das ist ein ganz normaler schwarzer Kater, sagte sie; mein Mann und ich haben jetzt genug von den teuren Zuchtkatzen, man kann es diesen empfindlichen Dingern nicht recht machen. Die zweite ist uns erst vor zehn Tagen gestorben, und jetzt ist Schluß mit diesen Viechern. Es fing mit Brechen an, sagte Frau Kaiser; ich habe es nicht ernst genommen, schließlich kann sich auch eine Katze mal übergeben, was ist denn da dabei. Aber schon am nächsten Tag hat sie überhaupt nichts mehr gefressen. Ich habe den Tierarzt angerufen, und er hat gesagt, ich soll mit dem Tier kommen und eine Urinprobe mitbringen, aber die Urinprobe ist mir nicht geglückt, weil das Tier einfach nicht mehr gepinkelt hat. Daraufhin hat der Tierarzt aus einer Vorderpfotenvene Blut entnommen und hat eine Harnstoffbestimmung gemacht. Tatsächlich war der Harnstoffgehalt sehr hoch, sagte Frau Kaiser, das Tier litt an Nierenversagen. Der Arzt hat ihr ein Antibiotikum gespritzt, und dann bin ich wieder nach Hause gegangen. Aber es hat nichts geholfen! Das Tier hat eine Woche lang nichts gegessen und kaum etwas getrunken, und ich habe es künstlich ernähren müssen, aber trotzdem wurde die Katze immer dünner. Ach, machte Abschaffel. Ja, sagte Frau Kaiser; ich bin wieder zum Tierarzt, das war genau an unserem zwanzigsten Hochzeitstag, und der Arzt hat festgestellt, daß die Harnstoffwerte noch schlechter geworden waren, und er hat mir empfohlen, das Tier einschläfern zu lassen. Ich habe die Katze noch einmal mit nach Hause genommen, weil ich dachte, ich mach ihr noch ein schönes Wochenende mit meinem Mann zusammen, aber danach muß ich gemein werden. So ist es dann auch gekommen. Die Sprechstundenhilfe hat mir am Montag den Korb mit dem kranken Tier abgenommen und ist damit in ein anderes Zimmer gegangen, und kurz danach ging die Tür wieder auf und ich habe den leeren Korb zurückgekriegt. Wahrscheinlich hat der andere Tierarzt, wo ich sie habe sterilisieren lassen, ein bißchen zuviel an ihrer Niere herumgeschnibbelt bei der Sterilisation, und dadurch ist das alles gekommen, sicher sogar, sagte Frau Kaiser.
    Erst jetzt öffnete Frau Kaiser langsam die Haustür und hielt sie Abschaffel auf. Er machte einige bedauernde Bemerkungen. Er spürte, daß Frau Kaiser ihrerseits ein paar Sätze von ihm erwartete. Er war sogar kurz in Versuchung, ihr vorzuschwindeln, er sei in Winterurlaub gewesen: Skifahren im Ötztal (o weh), aber er schwieg und litt dabei. Er wollte ihr nicht sagen, daß er in Sattlach gewesen war, und er wollte sie auch nicht anschwindeln: Also mußte er schweigen. In seiner Wohnung packte er die Lebensmittel aus und räumte sie ein. Die wenigen Sachen, die er üblicherweise, wenn er nach Feierabend einkaufte, nach Hause brachte, stellte er gewöhnlich in einer Ecke des Eisschranks zusammen, so daß das Innere des Eisschranks immer wie eine erleuchtete Leere aussah. Diesmal wurde der Eisschrank fast voll. Auf jedem Zwischenregal lagen mehrere Stücke. Das Wochenende konnte kommen! Als er die Milchtüten einräumte, erinnerte er sich an die Verkäuferin, die die Preisschildchen aufgeklebt hatte, und vergaß sie gleich wieder.
    Später ging er zum erstenmal nach sechs Wochen wieder in die Innenstadt. Er hatte seine Schuhe geputzt und trug ein frisches Hemd und hatte ein Gefühl, als werde er von allen erwartet. Er ging zu Fuß, und er tat, als
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