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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby
Autoren: S Dessen
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verkündete ich. Meine Mutter war in ihrem Zimmer und zog sich gerade um. »Da kommt jemand.«
    Statt einer Antwort vernahm ich ein gereiztes Stöhnen. Kurz bevor sie zur Arbeit musste, war meine Mutter immer am miesesten drauf, quengelig wie ein kleines Kind. »Wer denn?«
    »Keine Ahnung«, rief ich zurück und beobachtete dabei, wie sich das Paar   – er in Jeans und Jeanshemd, sie in Bundfaltenhose und einem gemusterten Top   – dem Haus unaufhaltsam näherte. »Aber sie werden jeden Moment klingeln.«
    Erneutes Stöhnen. »Sprichst du mit ihnen, Ruby?«
    Das Erste, was mir an den Honeycutts auffiel, war ihre spontane Herzlichkeit. Womit sie ebenso spontan zu der Sorte Menschen gehörten, die meine Mutter nicht ausstehen konnte. Als ich die Tür öffnete, strahlten sie bereits, und kaum erblickten sie mich, strahlten sie gleich noch ein wenig mehr.
    »Sieh sich einer dieses Mädchen an!«, rief die Frau, als hätte ich bereits durch die Tatsache, dass ich existierte, eineeinmalige Leistung vollbracht. Winzig, wie sie war, und mit ihren weißen Löckchen, die ihr Gesicht wie ein Heiligenschein umrahmten, sah sie aus wie ein Kobold in niedlich   – wie eines dieser Kitschfigürchen, die sich manche Menschen ins Regal stellen. »Hallöööchen!«
    Ich nickte. Meine Standardreaktion auf alles und jeden, der bei uns klingelte. Denn ich hatte die Erfahrung gemacht, dass überflüssige Worte die Leute bloß zu wer weiß was ermunterten. »Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte ich daher so knapp wie möglich.
    Der Mann blinzelte leicht verwirrt. Streckte mir die Hand entgegen. »Ronnie Honeycutt«, sagte er. »Das ist Alice, meine Frau. Und du bist . . .?«
    Ich warf einen Blick über die Schulter, zum Zimmer meiner Mutter. Normalerweise machte sie beim Umziehen ziemlich viel Getöse   – murmelnde Selbstgespräche, auffliegende Schranktüren, krachend zugeschobene Schubladen   –, doch momentan herrschte Totenstille. Klar, was sonst? Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf das Paar vor mir und beschloss, dass sie zwar keine Zeugen Jehovas waren, aber definitiv irgendetwas verkaufen wollten. »Tut mir leid«, sagte ich und begann bereits, energisch die Tür zu schließen, in einer jahrelang eingeübten, routinierten Bewegung, »aber wir haben kein   –«
    »Keine Angst, mein Schatz«, meinte Alice und fügte als Erklärung für ihren Mann hinzu: »Das bringen sie den Kindern in der Schule heutzutage bei: Vorsicht bei Fremden an der Haustür.«
    »Wieso Fremde?«, meinte Ronnie.
    »Wir sind eure Vermieter«, sagte Alice prompt. »Wollten nur vorbeischauen und fragen, ob mit dem Umzug alles geklappt hat und ihr euch schon ein wenig eingelebt habt.«
    Vermieter
, dachte ich. Also schlimmer als Zeugen Jehovas. Instinktiv schloss ich die Tür noch ein wenig mehr und stemmte meinen Fuß von innen dagegen. »Alles okay, uns geht es gut.«
    »Ist deine Mutter da?«, fragte Ronnie. Alice beugte sich leicht vor, um an mir vorbei einen Blick Richtung Küche werfen zu können.
    Ich imitierte ihre Bewegung spiegelverkehrt, um sie genau daran zu hindern. Erst dann antwortete ich: »Also, sie ist gerade   –«
    »Hier«, hörte ich meine Mutter sagen. Ich drehte mich um. Sie kam durchs Wohnzimmer auf uns zu, wobei sie ihr Haar mit einer Hand zurückstrich. Sie trug Jeans, Stiefel, ein weißes Tanktop   – ich muss zugeben, angesichts der Tatsache, dass sie erst vor zwanzig Minuten aufgestanden war, sah sie ziemlich gut aus. Meine Mutter hatte früher als echte Schönheit gegolten, und manchmal konnte man noch einen Blick auf das Mädchen erhaschen, das sie gewesen war: Falls das Licht stimmte oder sie ausnahmsweise eine Nacht richtig gut und lang geschlafen hatte. Oder auch, wenn man, wie ich beispielsweise, sich sehnsüchtig und etwas wehmütig darum
bemühte
, es zu sehen.
    Sie lächelte mich an, stellte sich neben mich in den Türrahmen, legte wie selbstverständlich den linken Arm um mich und hielt den beiden grüßend ihre rechte Hand hin. »Ruby Cooper«, stellte sie sich vor. »Das ist meine Tochter. Sie heißt ebenfalls Ruby.«
    »Wie schön!«, trällerte Alice Honeycutt. »Und sie heißt nicht bloß so wie Sie, sie sieht auch genauso aus.«
    »Ja, das sagen alle«, antwortete meine Mutter. Ich spürte ihre Hand an meinem Hinterkopf, denn sie strich mir übers Haar. Rot, wie ihres, die Haarfarbe hatten wir tatsächlichgemeinsam, auch wenn sich durch ihr Rot mittlerweile verfrühte graue Strähnen zogen.
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