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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby
Autoren: S Dessen
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Außerdem hatten wir die gleiche blasse Haut   – Fluch oder Segen aller Rothaarigen, je nachdem, wie man es sieht   – und den gleichen Körperbau: groß, schlank, drahtig. Angeblich sahen wir uns aus der Ferne zum Verwechseln ähnlich, und obwohl ich wusste, dass das als Kompliment gemeint war, fasste ich es nicht automatisch als solches auf.
    Ich wusste außerdem, dass die unvermittelte, liebevolle Geste meiner Mutter, dieses Übers-Haar-Streichen, bloß Show war, um vor den Vermietern als nett und liebenswürdig dazustehen, als harmonische Familie; man konnte schließlich nicht wissen, wofür sich so ein Image   – wenn es darum ging, Zeit oder Geld rauszuschinden   – noch als nützlich erweisen würde. Gleichzeitig nahm ich wahr, wie leicht es mir trotz dieses Wissens fiel, darauf einzusteigen, mich an sie zu schmiegen, meinen Kopf anzulehnen. Als hätte ein Teil von mir, den ich nicht unter Kontrolle hatte, unterbewusst schon immer auf diese Chance gewartet.
    »Wir machen das eigentlich immer so bei neuen Mietern: kurz vorbeischauen und sehen, wie’s so geht«, sagte Ronnie gerade; meine Mutter zwirbelte lässig eine meiner Haarsträhnen um ihren Finger. »Die Agentur erledigt den gesamten Papierkram, das ist zwar richtig, aber wir begrüßen die Leute schon gern persönlich.«
    »Wie nett von Ihnen«, antwortete meine Mutter. Sie ließ mein Haar los und ihre Hand auf die Türklinke sinken, scheinbar so beiläufig, als wäre es ihr nicht einmal bewusst, genauso wenig wie die ein, zwei Zentimeter, welche sie die Tür durch diese Bewegung weiter zuschob, sodass der Raum zwischen ihnen und uns noch schmaler wurde. »Aber wie Ruby bereits sagte, muss ich gleich los zur Arbeit, deshalb   –«
    »Selbstverständlich«, fiel Alice ihr ins Wort. »Kein Problem. Aber Sie lassen es uns wissen, wenn Sie irgendetwas brauchen, nicht wahr? Wir sind sofort zur Stelle. Ronnie, gib Ruby unsere Nummer.«
    Zu dritt sahen wir zu, wie er Zettel und Stift aus der Hemdtasche kramte und bedächtig die Zahlen notierte. »Bitte schön«, meinte er, als er meiner Mutter den Zettel schließlich reichte. »Sie können uns jederzeit anrufen.«
    »Mach ich«, antwortete meine Mutter. »Vielen Dank.«
    Nach dem Austausch einiger weiterer Höflichkeiten verzogen sich die Honeycutts endlich von unserer Veranda; beim Weggehen legte er beschützend den Arm um ihre Schultern. Öffnete ihr die Wagentür, wartete, bis sie sicher eingestiegen war, schloss die Tür hinter ihr und setzte sich erst dann auf seinen Platz am Steuer. Mehr als vorsichtig fuhr er die Ausfahrt hinunter. Ich zählte mit, während er wendete: Er manövrierte acht Mal hin und her, damit die Autoreifen den Rasen nur ja nicht berührten.
    Meine Mutter stand zu dem Zeitpunkt allerdings längst nicht mehr neben mir, sondern hatte sich wieder in ihr Zimmer verzogen und den Zettel mit der Telefonnummer unterwegs in einem Aschenbecher entsorgt. »Von wegen persönlich begrüßen, pah!« Energisches Schranktürkrachen. »Die wollten uns bloß kontrollieren. Ich kenne die Sorte. Haben nichts Besseres zu tun, als ihre Nase überall reinzustecken.«
    Sie hatte natürlich recht. Die Honeycutts kamen eigentlich ständig unangekündigt vorbei, angeblich, weil sie irgendetwas im Garten erledigen mussten: den Wasserschlauch ersetzen, den wir ohnehin nicht benutzten, die Kreppmyrte beschneiden, ein Vogelbad aufbauen . . . Sie tauchten so häufig auf, dass ich das charakteristische Geräusch ihres Auspuffs bereits hörte, wenn sie unten an der Straße in dieZufahrt zum Haus einbogen. Was meine Mutter betraf: Für sie hatte sich jeglicher Anflug von Höflich- und Nettigkeit mit jener ersten Begegnung erledigt. Sie ging nie mehr an die Tür, wenn die Honeycutts klingelten (was sie allerdings nicht jedes Mal taten). Zuckte nicht einmal zusammen, wenn Alices Gesicht   – weiß und geisterhaft wegen des hellen Lichts, welches hinter ihr hereindrang   – unvermittelt in dem kleinen Spalt am Fenster erschien, den die Gardine nicht bedeckte. Denn Alice fand offenbar nichts dabei, ungeniert ins Hausinnere zu spähen. Es zumindest zu versuchen.
    Weil die Honeycutts meine Mutter immer nur so selten zu Gesicht bekamen, dauerte es fast zwei Monate, bis sie realisierten, dass sie weg war. Im Gegenteil: Wenn der Trockner nicht seinen Geist aufgegeben hätte, hätten sie es vielleicht nie herausgefunden   – wenigstens bildete ich mir das ein   – und ich hätte bis zum Schluss in dem gelben
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