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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby
Autoren: S Dessen
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sie noch hier. Sie arbeitet nur sehr viel.« Die ich auch dem Polizisten erzählte, der mich daheim abgefangen hatte, nachdem man mich aus der vierten Unterrichtsstundegeholt und nach Hause geschickt hatte; wobei in dem Fall auch die raffinierteste Ausrede der Welt nichts mehr genützt hätte. Aber obwohl ich mit den Leuten genau so redete, wie meine Mutter es stets von mir erwartet hatte, hörten sie mir gar nicht zu.
    An jenem Tag jedoch, als meine Mutter und ich zum ersten Mal vor dem gelben Haus vorfuhren, war noch alles in Ordnung gewesen. Klar, beim Auszug aus unserer bisherigen Wohnung hatte sich das übliche Drama abgespielt: Wir lagen mit der Miete in beträchtlichem Rückstand, weshalb der Hausmeister uns mit Argusaugen beobachtete, sodass wir unseren Kram nicht auf einmal, sondern über mehrere Tage hinweg ins Auto packen mussten, möglichst unauffällig; das heißt, wir nahmen immer nur ein paar Sachen mit, wenn wir sowieso zum Supermarkt oder zur Arbeit fuhren. Daran hatte ich mich im Laufe der Zeit ebenso gewöhnt wie an die Tatsache, dass wir so gut wie nie Telefon hatten, und wenn, dann unter falschem Namen. Ähnliches galt für meine Anmeldungen bei den diversen Schulen, die ich in meinem kurzen Leben besucht hatte; meine Mutter trug eigentlich grundsätzlich eine falsche Adresse ein, da sie der Überzeugung war, sonst würden uns ehemalige Vermieter oder andere, denen sie Geld schuldete, auf diesem Weg aufspüren können. Lange Zeit dachte ich, das wäre normal, jeder Mensch würde so leben. Und als ich alt genug war, um zu kapieren, dass es sich anders verhielt, war mir das Mogeln bereits so in Fleisch und Blut übergegangen, dass mir alles andere komisch vorgekommen wäre.
    Innen war das gelbe Haus ein bisschen schräg. Die Küche war der größte Raum und alles stand an einer Seite aufgereiht nebeneinander: Schränke, Regale, Elektrogeräte. Vor einer anderen Wand war eine riesige Gasheizung montiert,die sich an kalten Tagen redlich abmühte, im gesamten Haus Wärme zu verbreiten; vielleicht erwachte sie deshalb immer mit einem so schweren Seufzer zum Leben. Das einzige Bad erreichte man nur über die Küche. Meine Mutter vermutete daher, dass es nachträglich angebaut worden war und es vorher wahrscheinlich nur ein Plumpsklo auf dem Hof gegeben hatte, denn der Raum klebte wie eine Schuhschachtel am Rest des Gebäudes und die Außenwände waren nie wärmeisoliert worden. Deshalb konnte es da drinnen ganz schön kalt sein, bis man das heiße Wasser weit und lang genug aufgedreht hatte und der Dampf die Rolle der Heizung übernahm. Das ziemlich kleine Wohnzimmer war mit dunklem Holz vertäfelt. Selbst am helllichten Tag sah man dort die Hand vor Augen nur, wenn man Licht machte. Meiner Mutter war das Halbdunkel natürlich nur mehr als recht, im Gegenteil, meistens zog sie sogar noch die Gardinen vor. Wenn ich heimkam, fläzte sie normalerweise im Wohnzimmer auf dem Sofa; eine Zigarette hing locker zwischen ihren Fingern, das Flackern des Fernsehers spiegelte sich in kleinen Lichtblitzen auf ihrem Gesicht wider. Selbst wenn draußen die Sonne schien und die ganze Welt in helles Licht getaucht war, herrschte bei uns stockfinstere Nacht   – die Lieblingstageszeit meiner Mutter.
    In unserem ehemaligen Apartment, welches ja bloß ein Schlafzimmer gehabt hatte, wurde ich nicht selten mitten in der Nacht durch ein Flüstern dicht an meinem Ohr aus dem Tiefschlaf gerissen: Meine Mutter bat mich, bitte aufs Sofa im Wohnzimmer umzuziehen, in Ordnung, Schatz? Während ich ihrer Aufforderung schlaftrunken und leicht durcheinander folgte, bemühte ich mich, gar nicht so genau mitzukriegen, wer hinter ihr ins Schlafzimmer schlüpfte. In dem gelben Haus bekam ich jedoch endlich ein eigenes Zimmer.Es war klein, hatte bloß ein Fenster, ähnlich dunkle Wände wie das Wohnzimmer, einen winzigen Schrank sowie orangefarbenen Teppichboden   –
aber
eine Tür, die ich hinter mir schließen konnte. Und es gehörte mir, mir ganz allein. Was mir das Gefühl gab, dass wir länger als ein paar Monate bleiben würden, dass in diesem Haus alles besser werden würde. Am Ende stellte sich allerdings heraus, dass nur eins von beidem zutraf.
    Die Honeycutts lernte ich drei Tage nachdem wir eingezogen waren, kennen, am frühen Nachmittag, kurz bevor wir zur Arbeit aufbrechen wollten. Plötzlich kam ein grüner Kleinlaster die Auffahrt hoch. Ein Mann saß am Steuer, eine Frau neben ihm auf dem Beifahrersitz.
    »Mama«,
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