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Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust
Autoren: Robin Schone
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schabte über Victorias Haut, das Geräusch einer sich schließenden Tür. Die sie in einer Bibliothek einschloss, statt in einem Schlafzimmer, wie sie erwartet hatte. Am Ausgang der Nacht würde es nichts ändern.
    Victoria wusste, dass ein Mann kein Bett brauchte, um sich mit einer Frau zu paaren: Häufig genügte ein Hauseingang oder eine Gasse.
    Ein elektrischer Kronleuchter ergoss sein Licht über sie. Ein Schreibtisch mit silbern geäderter schwarzer Marmorplatte und ein blassblauer Ledersessel im Queen-Ann-Stil standen zwischen ihr und dem blonden Mann. Ihre Kapuze versperrte ihr den Blick zu den Seiten; aber sie wusste um die Gefahr, die um sie her knisterte. Sie schützte sie nicht vor der Tatsache, dass sie ihren Körper an den höchst Bietenden verkauft hatte.
    Er regte sich nicht, dieser Mann, der ihre Jungfräulichkeit ersteigert hatte, eine griechische Statue in maßgeschneidertem schwarzseidenem Frack mit weißer Weste und hellblondem Haar, schimmernd wie gesponnenes Silber.
    Ein Stich fuhr ihr durch die Brust.
    Er war so schön, dass es wehtat ihn anzuschauen.
    Mit pochendem Herzen und rasenden Gedanken riss Victoria sich von seinem Anblick los. Sie hatte ihn schon einmal gesehen: die hohen Wangenknochen, der klar geschnittene Mund, Augen, die niedrigste Begierden durchschauten …
    Seine Linke lag mit der Handfläche auf dem schwarzen Marmor:blasse Finger, lang und schlank, kurze Fingernägel, matt schimmernd. Sein kleiner Finger mündete in einen Berg weißer Seide.
    Victoria machte sich keine Illusionen, was Männer Frauen antaten. Die Hand, die sie streichelte, konnte sie ebenso verletzen. Entstellen. Töten.
    Ihr Blick fuhr hoch.
    Silberne Augen erwarteten ihren Blick.
    Victorias Magen ballte sich wie eine Faust.
    Vor Hunger, sagte sie sich.
    Und wusste, dass sie log.
    Sie hatte Angst. Aber Angst konnte sie sich nicht leisten.
    »Sie haben zweitausend Pfund für meine Jungfräulichkeit geboten«, sagte sie unverblümt.
    »Ich habe zweitausend Pfund geboten«, bestätigte er ausdruckslos mit undurchdringlichem Blick.
    Aber die Unschuld einer Frau ist keine zweitausend Pfund wert , hätte Victoria schreien mögen. Sie tat es nicht.
    »Ich besitze in diesen Dingen keine Erfahrung.« Sie umklammerte ihre wollene Tasche; ihr Ringfinger glitt durch eine lose Masche. »Wie beabsichtigen Sie mich zu bezahlen?«
    »Das liegt ganz bei Ihnen, Mademoiselle.«
    Der Kellner, der sie zu dem Mann hinter dem Schreibtisch mit der schwarzen Marmorplatte geführt hatte, hatte sie ebenfalls Mademoiselle genannt. Er hatte einen unverkennbar französischen Akzent gesprochen.
    Der Mann, der einhundertfünf Pfund und später tausend Pfund geboten hatte, hatte sie ebenfalls Mademoiselle genannt. Er hatte mit einem unverkennbar englischen Akzent gesprochen.
    Wie dieser Mann. Ein Zwang überfiel sie, die Nationalität des Mannes zu erfahren, der ihr die Unschuld nehmen würde. Victoria schluckte.
    Prostituierte stellten ihren Freiern keine Fragen. Und durch ihr Handeln hatte sie heute Abend den Rang einer stellungslosen Gouvernante verloren und sich zur Prostituierten gemacht.
    Entschlossen hob sie die Arme und streifte ihre Kapuze ab.
    Spannung durchzuckte die Luft. Victoria erstarrte.
    Der kleine Finger des Mannes, der den Berg weißer Seide berührt hatte, war nun darunter verborgen. Sie hatte die Bewegung nicht gesehen, aber er hatte sich bewegt.
    »Ziehen Sie den Umhang aus.«
    Es war ein kalter, barscher Befehl.
    Ihr Blick schnellte hoch.
    Sein Gesicht und seine Augen waren bar jeder Begierde.
    Die letzten sechs Monate hatten Victoria gelehrt, dass Männer eine Frau nicht begehren mussten, um sie zu besitzen. Manche Männer fanden ihre Lust in der Macht, andere im Schmerz.
    Schweiß sammelte sich unter ihren Brüsten und kroch über ihren Magen. Worin fand dieser Mann Lust, fragte sie sich: in Macht … oder Schmerz?
    Warum sollte ein Mann – ein Mann, der doch sicher jede haben konnte, die er begehrte – zweitausend Pfund für die Jungfräulichkeit einer Frau bezahlen?
    Sein silberner Blick wich nicht von ihr; die langen, hellen Finger rührten sich nicht von dem Seidentuch fort.
    Bald würde er sie mit diesen Fingern berühren, dachte Victoria mit einem wachsenden Gefühl von Unwirklichkeit. Er würde ihre Brüste kneten und ihre Scham befingern.
    Vielleicht auch nicht.
    Vielleicht würde er sie an die Wand gelehnt nehmen oder über den Marmorschreibtisch gebeugt, ohne einleitende Küsse. Ohne Zärtlichkeiten.
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