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Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust
Autoren: Robin Schone
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schimmerte.
    Gabriel brauchte seine Augen nicht zu sehen, um ihre Farbe zu wissen: Er sah sie jedes Mal, wenn er die Augen schloss, um zu schlafen.
    Plötzlich flackerten männliche Spekulationen und weibliche Bosheit im Saal auf. Jemand hatte fünfhundert Pfund für die verhüllte Frau geboten. Jeder Freier beschloss, sie besitzen zu müssen. In rascher Folge meldeten sich Stimmen: »Fünfhundertfünfundzwanzig Pfund.« – »Fünfhundertfünfundsiebzig Pfund.« – »Sechshundert Pfund.« – »Sechshundertfünfzig Pfund.« – »Siebenhundert Pfund …«
    Ein Klicken durchbrach den Aufruhr, eine Tür, die sich öffnete. Licht durchschnitt die Dunkelheit, das Ende nahte. Ein Mann blieb zwei Fuß hinter ihm stehen; zwanzig Fuß unter ihm fing Michael seinen Blick ein.
    »Eintausend Pfund.« Schauer überliefen Gabriels übermäßig gespannte Haut.
    Das Gebot kam vom zweiten Mann.
    Ungläubige Verblüffung ging durch den Saal.
    Nur zwei Huren hatten je einen so hohen Preis erzielt. Michel des Anges – Michael von den Engeln, ein Mann, der berühmt war für seine Fähigkeit, Frauen zur höchsten Wonne zu führen – und der Mann, der seit siebenundzwanzig Jahren unter dem Namen Gabriel bekannt war.
    Gabriel, die Hure.
    Gabriel, der Besitzer.
    Gabriel, der unberührbare Engel.
    Flackerndes Kerzenlicht dämpfte die Erkenntnis, die in MichaelsMiene aufleuchtete: Er hatte gemerkt, dass der zweite Mann zwei Mal geboten hatte. Aber hatte er auch seine Stimme erkannt, fragte sich Gabriel. Er zielte mit seinem Adams-Revolver auf Haar so schwarz, dass es blau schimmerte. Würde Michael das Gesicht des zweiten Mannes noch erkennen, nachdem eine Kugel durch seinen Hinterkopf eingetreten und durch sein Gesicht ausgetreten wäre?
    »Monsieur.« Der Mann hinter Gabriel trat nicht näher – Gaston war zu lange in Gabriels Diensten, um diesen Fehler zu machen. »Monsieur, er ist gekommen, wie Sie gesagt haben.«
    Jeder, der für Gabriel arbeitete, wusste, dass er mit dem zweiten Mann rechnen musste. Aus diesem Grund hatte er das Haus Gabriel gebaut: um ihn anzulocken, mit Fleischeslust … mit Mord.
    Michael.
    Gabriel.
    Aber sie wussten nicht, wie er aussah.
    Sie wussten nicht, wie er roch.
    Sie konnten ihn nicht spüren wie Gabriel, als Krebsgeschwür, das Hoffnung und Verzweiflung, Liebe und Hass verschlang.
    »Woher wissen Sie, dass er hier ist, Gaston?«, fragte er ausdruckslos, ohne die Waffe sinken zu lassen.
    »Er hat eine Nachricht pour vous geschrieben, Monsieur.«
    Gaston sprach mit französischem Akzent.
    Michael sprach Französisch wie ein Franzose, war aber Engländer. Gabriel sprach Englisch wie ein Engländer, war aber Franzose. Aus welchem Land der zweite Mann kam, wusste er nicht. Den Einzigen, der es ihm hätte sagen können, hatte Gabriel getötet. Es spielte keine Rolle. Es war nicht nötig, die Nationalität eines Mannes zu kennen, um ihn zu töten. Gabriel legte den Finger an den Abzug …
    Plötzlich stand der grauhaarige Mann auf und verdeckte den zweiten Mann. Er half der Blondine beim Aufstehen. Sie war größer als der Grauhaarige und so elegant, wie es nur eine erfolgreiche Prostituierte sein konnte. Diamanten funkelten an Hals und Ohren. Rauch und Dunst rankten sich um ihr Haar – Haar, das fast so blond war wie Gabriels.
    Gabriel meinte den Grauhaarigen und die Blondine schon einmal gesehen zu haben. Aber wo?
    »Wann hat er Ihnen die Nachricht gegeben, Gaston?«, fragte er kurz angebunden.
    Der zweite Mann hatte seine beiden Portiers bestochen, sonst hätten sie die Frau niemals hereingelassen. Das Haus Gabriel bewirtete keine Armen.
    Er fragte sich, ob der zweite Mann auch seinen Geschäftsführer bestochen hatte. Ihm war klar, dass es durchaus möglich war. Jeder Mann und jede Frau in seinem Haus hatten ihren Preis. Andernfalls stünden sie nicht in Gabriels Diensten.
    Der Grauhaarige und die Blondine schlängelten sich ohne Hast zwischen den von Kerzen erhellten Tischen hindurch. Eine graue Rauchfahne folgte ihnen.
    Die verhüllte Frau stand reglos da. Unberührt von der Gefahr, die um sie her knisterte.
    »Ein Kellner hat diese Nachricht vom Boden aufgehoben«, erklärte Gaston steif, gekränkt über Gabriels unausgesprochenen Verdacht. »Sie ist auf une serviette geschrieben.«
    Das Bild eines Kellners, der sich vorbeugte und mit einer Serviette in der Hand wieder aufrichtete, blitzte vor Gabriels innerem Auge auf. Plötzlich überlief ihn vor Anspannung eine Gänsehaut.
    Der Kellner
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