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Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust
Autoren: Robin Schone
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mich, ob ich Michael begehre.«
    Ein weißer Seidenunterrock fiel auf das goldbraune Kleid. Sie griff nach dem Band des zweiten Unterrocks. »Begehrst du ihn?«
    Erbarmungsloses elektrisches Licht tanzte auf Gabriels Haar; Dunkelheit tanzte in seinen Augen, immer noch kein Silber. »Was ist, wenn ich ja sage?«
    Weiße Seide sackte auf weiße Seide.
    Gabriels Blick folgte instinktiv dem fallenden Unterrock und heftete sich auf die Seidenunterhose an ihren Hüften. Sofort schnellte sein Blick hoch und hielt ihren fest. »Ich weiß es nicht.«
    Der Schrei eines Engels.
    Der Schmerz in Gabriels Stimme zerriss Victoria das Herz. Sie öffnete die beiden Elfenbeinknöpfe am Bund ihrer Unterhose und schaute ihm in die Augen. »Michael hat dich geküsst.«
    Gabriel atmete hörbar ein.
    »Hast du ihn da begehrt, Gabriel?«, hakte Victoria nach.
    Die Unterhose glitt über ihre Hüften, an ihren Schenkeln herab und fiel auf den Seidenhaufen.
    Gabriel war starr vor Schmerz. Schmerz, den sie ihm zufügte, aber sie wollte ihm nicht wehtun. »Sag du es mir, Victoria«, antwortete er gequält.
    Der Haufen Seide war gefährlich hoch; der Teppich gefährlich dick. Vorsichtig stieg Victoria über den Grat, der sie trennte; ihre nackten Schenkel rieben aneinander, die Seidenstrümpfe sirrten; sie war keine Jungfrau mehr, sondern eine Frau, die den Schmerz und die Lust kannte, einen Engel zu lieben. »Ich kann dir sagen, dass ich an Juliens Tod ebenso schuld bin wie du.«
    Schweigend schaute Gabriel zu ihr auf. Sein Schmerz ballte sich in ihrem Magen.
    Sie hatte Julien gesagt, sie würde Gabriel nicht erzählen, dass er sie aus dem Zimmer gelassen hatte; Victoria glaubte jedoch nicht, dass Julien es ihr verübeln würde, wenn sie ihr Versprechen nicht hielt.
    »Ich sagte Julien, ich wollte ein Gästezimmer sehen in der Hoffnung, dort etwas zu finden, womit ich dir Lust bereiten konnte. Ich sah einen Mann mit dunklem Haar im Spiegel, zumindest meinte ich, einen Mann gesehen zu haben. Aber er war so schnell verschwunden, dass ich es für eine Einbildung hielt. Gaston ließ mich wieder in deine Suite. Ich erzählte weder Julien noch Gaston, was ich gesehen hatte. Wenn ich es getan hätte, könnte Julien vielleicht noch leben.«
    In seinen Augen blitzte Widerspruch auf, ein Anflug von Silber. »Er hätte im Korridor nachgesehen und wäre dort ermordet worden.«
    Umgeben von Spiegeln, die keine Spiegel waren, statt von der Holztäfelung des Flures.
    »Vielleicht«, stimmte Victoria zu. »Aber ich werde es nie erfahren, oder? Ich werde nie wissen, ob mein Schweigen ihn getötet hat.«
    Ihr Schmerz spiegelte sich in seinen Augen wider. »Nicht.«
    »Aber ich muss, Gabriel.« Victoria streckte die Hände aus, um sein blutverkrustetes Hemd zu öffnen und ihn von seiner Vergangenheit zu befreien. »Ich muss dich berühren.«
    Harte Hände packten ihre Handgelenke. »Wenn du mich anrührst, nehme ich dich, Victoria.«
    Victoria zuckte nicht vor Gabriels festem Griff zurück. Morgen hätte sie sicher blaue Flecken. »So ist es geplant, Sir.«
    Er wollte, dass sie ihn zurückwies; er wollte, dass sie ihn festhielt.
    Er war zerrissen zwischen seinen widersprüchlichen Bedürfnissen.
    Sie wollte nicht, dass er sich weiter grämte.
    »Du weißt, was ich bin«, sagte Gabriel steif.
    »Du bist Gabriel«, erwiderte Victoria unbeirrt.
    Ein Mann, der anderen das Überleben ermöglichte.
    Verwirrte Verärgerung leuchtete aus seinen Augen, die immer noch mehr grau als silbern waren. »Du hast mir meine Vergangenheit nie vorgehalten.«
    Zehn Finger pulsierten auf Victorias Haut; sie zählte sie einen nach dem anderen, fünf an ihrem linken Handgelenk, fünf an ihrem rechten Handgelenk …
    »Ich bin selbstsüchtig, Gabriel.«
    Die Wahrheit rutschte Victoria ungewollt heraus.
    Es war nicht die Antwort, die Gabriel erwartet hatte.
    »Du sagtest, du würdest die Vergangenheit nicht ändern wollen; ich ebenfalls nicht. Ich habe Anne kennen gelernt. Sie sagte, sie habe Michael bezahlt, damit er ihr die Jungfräulichkeit nahm. Ich wünschte, ich hätte das Geld und den Mut besessen, in dein Haus zu kommen und dir ein unsittliches Angebot zu machen.«
    Er wollte ihr glauben; er hatte Angst, ihr zu glauben.
    »Anne bevorzugt blaue Augen.«
    Die Augen eines Mannes, der mit dem Namen eines Engels geboren wurde.
    »Ich bevorzuge silberne Augen.« Die Augen eines Mannes, der ein Engel hatte sein wollen. Sie presste die Knie zusammen, damit sie nicht nachgaben, und stellte
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