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Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Titel: Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
Autoren: Robert Gordian
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Zimmerleute überprüften noch einmal die Sicherheit der Boote und Flöße und das Beutegut wurde schon nach und nach hinübergebracht. Ein einziges Zelt war noch nicht abgebaut, das des Königs, der sich, nachdem er während der nächtlichen Siegesfeier kaum Ruhe gefunden hatte, auf seinem Lager ausstreckte, um abzuwarten, dass das Schiff, mit dem er übersetzen wollte, bereit war. Er wurde schläfrig, doch da man sich immer noch auf feindlichem Boden befand und alle Sinne auf Alarm eingestellt waren, schreckte er gleich auf, als er am Zelteingang ein Geräusch hörte.
    „Was gibt es, Gunzelin?“
    „Er ist wieder da“, antwortete der schwarzbärtige Leibwächter. „Wartet draußen.“
    König Otto warf die Felldecke ab, richtete sich ächzend auf und setzte die Füße auf den Grasboden des Zeltes. Mit der Linken kratzte er sich die Brust, während er mit der Rechten nach der Bierkanne griff, die auf der Bank neben der Pritsche stand.
    „Der denkt immer noch, dass er der Erste an meinem Thron ist“, sagte er verdrießlich. „Glaubt, dass ich mir nicht erlauben kann, seine Ansprüche zu missachten. Und wie ich es kann! Um mit den Wenden fertig zu werden, genügt es nicht, der Mann meiner Tante |27| zu sein. Aber wie soll man ihm das nur klar machen, diesem aufgeblasenen alten Raufbold! Lass ihn hereinkommen.“
    Gunzelin ging hinaus. Otto setzte sich auf die Bank, gähnte, fuhr sich ein paar Mal mit allen zehn Fingern durch das bis auf die Schultern fallende Haar und langte nach seinem Wehrgurt. Von draußen ertönte Kommandogebrüll. Ein Windstoß ließ die Pfosten des Zeltes erzittern.
    Im Zelt erschien Wichmann, der ältere der beiden Billunger. Er trug einen bis an die Knöchel reichenden Bärenfellmantel, aus dem sein kleiner, kahler Vogelkopf mit der Hiebnarbe etwas kümmerlich hervorsah. Gunzelin trat hinter ihm ein und blieb am Zelteingang stehen.
    „Was willst du schon wieder, Onkel Wichmann?“, fragte der König, ohne aufzublicken und mit der Schnalle seines Gurtes beschäftigt.
    „Ich habe mit dir zu reden“, krächzte der alte Kriegsmann. „Aber schicke den dort erst hinaus.“
    „Einen Schluck Bier?“, fragte Otto, ohne die Aufforderung zu beachten. „Da steht noch eine halbvolle Kanne.“
    Wichmann nahm die Kanne, trank und verzog das Gesicht.
    „Das bekommt mir nicht, ich vertrage kein Bier.“
    „Ja, natürlich, du trinkst lieber Wein. Lässt ihn dir sogar aus Italien und Spanien kommen. Zur Sache! Ich bin überrascht, Onkel, über das, was man mir vorhin meldete. Ein Teil deiner Leute sei schon bei Sonnenaufgang über die Elbe gegangen und abgerückt. Ist das wahr? Ich kann es nicht glauben.“
    „Es stimmt“, erwiderte Wichmann, ärgerlich, weil diese Einleitung des Gesprächs ganz und gar nicht nach seinem Geschmack war. „Einige Haufen sind schon …“
    „Hast du selbst den Befehl gegeben?“, unterbrach ihn der König.
    „Wer sonst? Ich dachte …“
    „Seltsam“, sagte Otto, der noch immer keinen Blick auf den Besucher geworfen hatte und nun damit beschäftigt war, Grashalme von seiner Hose zu pflücken. „Weit ist es ja nicht bis zu deiner Grafschaft, dem Bardengau. So hätten sie eigentlich warten können, bis für alle der Befehl zum Rückmarsch gegeben wurde. Warum diese Hast? Hattest du Angst um deine Beute? Dachtest du, die Redarier könnten zurückkommen und sie dir wieder abjagen?“
    |28| Der alte Wichmann schnappte nach Luft. Da war er gekommen, um sich zu beschweren, doch kaum hatte er den Mund aufgetan, warf ihm Otto einen Brocken hinein, an dem er würgen musste.
    „Aber … aber … was unterstellst du mir da? Feigheit? Habgier?“
    „Nur Leichtsinn und Ungehorsam!“ Otto stand auf und richtete so plötzlich den Blick seiner kleinen, funkelnden Augen auf den Besucher, dass dieser erschrak und unwillkürlich einen Schritt zurückwich. „Den Befehl zum Rückzug gibt der Feldherr oder – wenn er, wie in diesem Fall, im Lager anwesend ist – der König. Hat dir einer von beiden den Befehl erteilt?“
    Das war ein noch härterer Brocken. Die Lippen des Alten zitterten, jedes Barthaar schien sich zu sträuben.
    „Der Feldherr?“, stieß er stammelnd hervor. „Ich kann es nicht glauben … noch immer nicht! Du erwartest von mir … mutest mir zu, meinem jüngeren Bruder zu gehorchen, der … der so jung ist, dass er mein Sohn sein könnte. Das … das soll ich … soll ich hinnehmen …“
    „Ich weiß, ich weiß, es ist bitter für dich!“, sagte der
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