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Abgeschnitten: Thriller (German Edition)

Abgeschnitten: Thriller (German Edition)

Titel: Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
Autoren: Sebastian Fitzek , Michael Tsokos
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fragte Clemens, der die Geräusche zu deuten versuchte, die Linda erzeugte, während sie sich anzog.
    »Ich hau ab.«
    »Wohin denn?«
    »Keine Ahnung. Ich muss raus.«
    »In den Sturm?«
    »Mir scheißegal.«
    Linda riss eine grüne Wetterjacke vom Haken, zog sie sich hastig über und stieß die Haustür auf. Es war das erste Mal, dass sie sich seit ihrer Ankunft auf Helgoland vor die Schwelle wagte, und damals war es hell und sonnig gewesen.
    Und nicht so kalt.
    Der Wind trieb ihr die Tränen in die Augen, während sie versuchte, den Reißverschluss der Jacke mit einer Hand zu schließen. Vergeblich.
    Für einen Moment hatte sie die Orientierung verloren, in ihrer Aufregung hatte sie den Weg durch die Hintertür neben der Küche gewählt und blickte über den Steingarten auf das aufgewühlte Meer.
    »Sei bitte vernünftig und warte kurz«, hörte sie Clemens sagen, aber sie achtete nicht auf ihn. Der schnellste Weg in den Ort führte über den Trampelpfad, der sich vom Kraterrand zum Meer Richtung Südhafen schlängelte.
    »Ich ruf zurück, sobald ich unter Menschen bin, ich …«, sagte sie.
    »Nein, nicht auflegen. Hör mir doch mal zu, verdammt!«
    Linda hatte den Pfad erreicht und schaute in den wolkenverhangenen Himmel über der rauhen See. Sie fühlte sich keinen Deut besser als im Haus. Im Gegenteil: Der stürmische Wind schien das Gefühl der Bedrohung in ihr nur noch zu verstärken.
    Auf Helgoland war auch in diesem Winter kaum Schnee gefallen, aber der grasgesäumte Erdboden war vereist. Atemlos und verängstigt, den Geruch des Aftershaves noch immer in der Nase, starrte sie von oben auf das Meer hinaus, das sich wie ein tollwütiges Tier mit weit aufgerissenem, schäumendem Maul auf die Tetrapoden der Küste stürzte.
    Er ist hier. Ich spüre es. Er ist hier.
    Sie sah zum Haus zurück.
    Nichts.
Kein Mann am Fenster. Kein Schatten hinter den Vorhängen. Nur das Licht, das sie im Atelier unter dem Dach hatte brennen lassen.
    »Du musst mich hier wieder abholen, Clemens«, sagte sie und merkte selbst, wie hysterisch sie sich anhörte. Sie drehte sich zum Meer zurück.
    »Du bist bekloppt, Linda. Niemand kommt mehr auf die Insel rauf. Weder ich noch dein Ex-Freund.«
    Nenn ihn nicht Freund,
dachte Linda, aber bevor sie es aussprechen konnte, wurde sie von einem Gegenstand abgelenkt, den die Wellen vor die Brandungsmauer geworfen hatten.
    Bislang hatte sie reflexartig gehandelt und war vor einer Gefahr geflohen, die sie nicht sehen, dafür umso stärker spüren konnte. Jetzt aber hatte sie ein Ziel. Linda rannte, so schnell es ging, den Weg hinab nach unten, bis sie das Ufer erreicht hatte.
    »Okay, Linda, hör mir zu. Entweder stehst du im Windkanal oder in einem Tornado. Beides ist gut. Lass dir ordentlich die Birne durchpusten. Ich hab dir gleich gesagt, du drehst irgendwann durch, wenn du nicht hin und wieder mal rausgehst.«
    Wegen der immer lauter werdenden Windgeräusche war ihr Bruder kaum noch zu verstehen. Sie stand etwa fünfzehn Meter vom Wasser entfernt, nah genug, dass ihr der feuchte Atem der Wellen ins Gesicht schlug.
    »Ich ruf später wieder an«, brüllte sie gegen das Tosen an.
    »Ja, tu das. Schnapp etwas frische Luft, atme tief durch.«
    Linda nickte, dabei hatte sie ihrem Bruder gar nicht mehr zugehört, während sie sich langsam, aber stetig der Brandungsmauer näherte. Irritiert starrte sie auf den dunklen Klumpen, der zwischen den Betonarmen der Wellenbrecher hing.
    »Und vertrau mir: Der Scheißkerl kann dir nichts mehr tun. Verstehst du?«, hörte sie Clemens sagen.
    »Er ist tot«, sagte sie tonlos.
    »Nicht am Telefon«, antwortete er, ohne zu wissen, dass sie nicht mehr mit ihm gesprochen hatte.
    Linda trat einen Schritt zurück, fing an zu würgen und wollte weglaufen, doch der schreckliche Anblick lähmte ihr die Glieder.
    Ich werde nie so gut sein,
dachte sie. Das Telefon war ihr zu diesem Zeitpunkt schon längst aus der Hand gefallen.
    Später schämte sie sich für diesen Gedanken, aber das Erste, was ihr durch den Kopf schoss, als sie in das fratzenartige Gesicht starrte, war, dass sie den Tod niemals so perfekt würde zeichnen können, wie er sich ihr in dieser Sekunde offenbarte. Dann begann sie zu weinen. Teils aus Schock, doch, wenn sie ehrlich war, größtenteils aus Enttäuschung, weil sie auf den ersten Blick erkannte, dass es sich bei der Leiche am Wasser nicht um Danny Haag handelte.

4. Kapitel
     
    Einen Tag später. Berlin.

    J
etzt krieg ich gleich richtig
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