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Abgeschnitten: Thriller (German Edition)

Abgeschnitten: Thriller (German Edition)

Titel: Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
Autoren: Sebastian Fitzek , Michael Tsokos
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auf die Fresse.
    Paul Herzfeld verlangsamte seinen Schritt und überlegte, ob er die Straßenseite wechseln sollte. Noch wenige Meter trennten ihn von dem eingerüsteten Mietshaus und dem Teil des Bürgersteigs, der aus Sicherheitsgründen abgesperrt war. Vor dem Eingang des überdachten Übergangs, der die Fußgänger an der Baustelle vorbeileiten sollte, stand die Gruppe und wartete auf ihn.
    Vier Männer, einer kräftiger als der andere. Der mit dem Hammer in der Hand lächelte.
    Verdammt, warum arbeiten die heute überhaupt?
    Herzfeld hätte nicht erwartet, dass man bei so einem Wetter tatsächlich Arbeiter auf die Gerüste schickte. Es gab Orte in der Antarktis, die gemütlicher waren als Berlin im Februar. Kaum Sonne, dafür so viel Schnee, dass den Baumärkten die Schneeschaufeln ausgegangen waren. Und hatte der Wetterbericht nicht Sturm vorhergesagt? Wieso also waren die Idioten dann schon wieder auf der Baustelle? Noch dazu so früh?
    Die Sonne war noch nicht aufgegangen, wie so oft, wenn Herzfeld sich morgens auf den Weg zur Arbeit machte. In den vier Jahren, die er als leitender Rechtsmediziner am Bundeskriminalamt tätig war, war Herzfeld noch kein einziges Mal zu spät im Sektionssaal erschienen. Und das, obwohl die erste Frühbesprechung bereits um halb acht auf dem Plan stand, eine in seinen Augen völlig bescheuerte Zeit; zumal für einen Single, der sich seit seiner gescheiterten Ehe auch gern mal wieder länger ins Berliner Nachtleben gestürzt hätte.
    Als ob die Leichen nicht warten könnten,
hatte er sich schon oft gedacht, wenn er, wie heute, seinen Frühstückskaffee im Stehen hinunterkippte, bevor er zur U-Bahn hetzte. Andererseits, auch das war ihm klar, konnte die enorme Arbeitsbelastung beim BKA nur ein Frühaufsteher bewältigen. Allein heute warteten in den Kühlfächern sechs Leichen. Ein Blick in die Zeitung genügte, um zu wissen, dass die Welt da draußen immer gewalttätiger wurde. Dazu musste man nicht der Spezialeinheit »Extremdelikte« vorstehen, einer Sonderabteilung, die hinzugezogen wurde, wenn es um die rechtsmedizinische Untersuchung besonders brutaler Tötungsdelikte ging.
    Und heute hab ich gute Chancen, auf meinem eigenen Sektionstisch zu landen,
dachte Herzfeld, während er sich den Männern näherte. Er spürte, wie sich seine Waden verkrampften, und wäre beinahe ins Stolpern geraten. Nervös ballte er die Faust in der Manteltasche. Der Schmerz in den Fingerknöcheln verstärkte die Erinnerung an seinen gestrigen Aussetzer, den er sich selbst kaum erklären konnte. Normalerweise wahrte er immer die Beherrschung, eine Notwendigkeit, die sein Beruf einforderte. Selbst wenn man mit den grausamsten Verbrechen konfrontiert wurde, musste man kühlen Kopf bewahren. Eine Eigenschaft, die er sich stets zugutegehalten hatte. Bis gestern.
    Es war auf dem Heimweg passiert, nach einem langen Vormittag am Sektionstisch und einem noch längeren Nachmittag am Schreibtisch, wo er den Papierkram erledigen musste, der mit der Öffnung von Leichen zwangsläufig einhergeht. Herzfeld war noch in Gedanken bei dem drei Monate alten Säugling – sie hatten ihm in der Frühschicht mit chirurgischer Präzision die Augen entfernt, um mittels der Einblutungen in die Netzhaut nachweisen zu können, dass der Kleine zu Tode geschüttelt worden war –, als ihm der Hund zwischen die Beine lief; eine trächtige Promenadenmischung, die Leine hinter sich herschleifend. Die Hündin hatte sich von den Fahrradständern am Supermarkt gegenüber losgerissen und wirkte desorientiert.
    »Hey, Kleine«, rief Herzfeld und ging in die Knie, um sie zu sich zu locken. Er wollte unbedingt verhindern, dass das Tier wieder zurück über die belebte Straße lief. Zunächst schien er Erfolg zu haben. Die Hündin war stehen geblieben, genau auf der anderen Seite des Fußgängerüberwegs. Ihr schwarzes Fell glänzte im leichten Nieselregen, sie hechelte und blinzelte ängstlich, doch der Schwanz klemmte nicht mehr wie eingefroren zwischen den Hinterläufen, seitdem er begonnen hatte, ruhig auf sie einzureden. »Na komm. Komm her, meine Gute.«
    Anfangs sah es ganz danach aus, als würde sie zu ihm Zutrauen fassen. Aber dann kam
er.
Der Arbeiter. Wie aus dem Nichts war er aufgetaucht, etwa genauso groß und schlank wie Herzfeld, aber allein die Leichtigkeit, mit der er die klobige Werkzeugkiste trug, signalisierte, dass er kräftemäßig in einer anderen Liga spielte.
    »Verpiss dich«, sagte der Mann, der auf der
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