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Aber bitte mit Sake

Aber bitte mit Sake

Titel: Aber bitte mit Sake
Autoren: Dana Phillips
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Platz, schaut mit wachen Augen in die Runde und begrüßt das Publikum. Als er verstummt, steht Herr Murakami auf, tritt an das Mikrofon, das an einem Stehpult montiert ist, und fängt an, seine Geschichte zu erzählen. Die Geschichte vom Tag, als die Atombombe auf seine Heimatstadt Hiroshima fiel, am 6. August 1945. Obwohl ich bereits weiß, was ihm widerfahren ist, rührt es mich immer noch. Und es erstaunt mich: Nicht nur, was Menschen sich gegenseitig antun, sondern auch, was sie zu überleben in der Lage sind. Während Herr Murakami davon berichtet, wie er in den Trümmern der Stadt nach seiner Familie gesucht hat, hört Fidel Castro aufmerksam zu. Mein Blick fällt auf die Großbildschirme, die rechts und links von den Rednern aufgebaut sind, und ich traue meinen Augen nicht: Meine japanischen Begleiter schlafen. Durch die Bank weg haben sie die zarten, dunkel behaarten, sonnenbehüteten Köpfchen an die Stuhllehnen gelehnt und schnorcheln mit offenen Mündern vor sich hin. In Ermangelung wacher und aufmerksamer Anwesender bleibt den halb verzweifelten Kameramännern nichts anderes übrig, als die schlafenden Gesichter zu filmen. Eine Situation, die einmal mehr zeigt, dass man selbst nach zweimonatiger Weltreise nicht in der Lage ist, die kulturellen Verhaltensmuster abzulegen, die einen das ganze Leben lang geprägt haben. Etwas, worüber ich immer noch nachdenke, als wir Stunden später (Fidel Castro ist ein ausdauernder Redner) durch Havanna zurück zum Peaceboat fahren.
    Jetzt heißt es Abschied nehmen. Nachdem ich mit viel Mühe und mit tatkräftiger Unterstützung von Gaki und Kyoko die Koffer geschlossen und in den Fahrstuhl geschoben habe, beginnt die großartige Abschiedszeremonie. Nicht nur alle Japaner, mit denen ich auf meiner Reise engeren Kontakt gehabt habe, sondern auch Haruki mit der Tarnweste und ein Großteil derer, die ich nur vom Grüßen auf den Gängen kenne, lassen es sich nicht nehmen, sich von mir zu verabschieden.
    »Ich werde Sie vermissen«, sagt eine der japanischen Damen zu mir, mit der ich kaum ein Wort gewechselt habe. Ich bin gerührt. Dann ist Kyoko an der Reihe. Unter Tränen reicht sie mir einen ihrer selbstgemachten Yukata. Ich erkenne ihn wieder, es ist jener, den sie mir für das Sommerfest geliehen hatte. Jetzt muss auch ich heulen. Gaki überreicht mir ein Heft mit einem selbstgezeichneten Manga, der unsere Reise nacherzählt. Die Tränen fließen in Strömen.
    Während ich mich unter unzähligen Beteuerungen und Verbeugungen verabschiede, tragen ächzende Stewards meine Koffer hinauf in das Terminal und bis vor die Sicherheitskontrollen des Hafens. Dort lassen sie alles auf den Boden fallen, verabschieden sich und verschwinden im Schiff. Zurück bleibe ich, wieder allein, ohne meine tausend Japaner, an die ich mich mittlerweile mehr gewöhnt habe, als ich je gedacht hätte. Ich reiche dem Beamten hinter dem Schalter meinen Pass, dann bugsiere ich nach und nach meine Habseligkeiten durch das Gebäude, die Treppe hinunter bis zum Taxistand. Bevor ich allerdings einsteigen kann, muss ich geschlagene zehn Minuten um den Preis feilschen. Während sich die Dämmerung über Havanna legt und das Taxi mit mir auf die Küstenstraße biegt, verrenke ich mir den Hals; so lange wie möglich behalte ich das Peaceboat im Auge und kann noch nicht so recht fassen, das meine Zeit an Bord wirklich vorüber ist.
    Ich bin rechtzeitig am Flughafen, einem flachen, unspektakulären Bau, vor dem Gott sei Dank eine Reihe von leeren Gepäckwagen steht. Der Taxifahrer hilft mir netterweise, einen von ihnen zu beladen, dann schiebe ich das Gefährt in Zickzacklinien in das Gebäude zum Check-in, krame nach meinem Ticket und halte es dem netten Herrn am Schalter entgegen.
    Erleichtert wuchte ich meine Koffer auf das Laufband, einen nach dem anderen. Nur den kleinen braunen Trolley lasse ich neben meinen Füßen stehen, ihn will ich als Handgepäck mitnehmen.
    »So!« Der Mann hinter dem Schalter wirft einen prüfenden Blick auf die Waage. »Das macht dann 517 Dollar.«
    »Bitte was?« Vor Schreck stolpere ich fast über meinen Trolley. »Wie viel? Wieso?«
    »517 Dollar«, wiederholt er geduldig, als hätte er es mit einer Geistesgestörten zu tun. »Sie haben Übergepäck.«
    »Aber das kann nicht sein! Ich habe auf dem Hinflug doch auch nichts bezahlen müssen! Da hat niemand auch nur einen Cent von mir haben wollen, obwohl ich genauso viel Gepäck dabei hatte.« Vorsorglich unterschlage ich die
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