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Ab ins Bett!

Ab ins Bett!

Titel: Ab ins Bett!
Autoren: David Baddiel
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nicht, wenn man unter Moral die Regeln und Normen versteht, die uns nur begrenzt erlauben, so zu handeln, daß es uns selbst nutzt, aber anderen schadet. Aber es gibt eine andere Moral, oder vielmehr, einen anderen Seinskodex: »Sei dir selbst der Nächste.« Meistens sind die beiden Codes nicht unbedingt unvereinbar — man kann sich, im Alltagsleben, sehr wohl selbst der Nächste sein, ohne anderen zu schaden. Aber leider verfällt das Schicksal manchmal darauf, einen an einen Ort zu schleudern, wo die Selbstsucht so dringlich wird, eine solches Übergewicht bekommt, daß man sich nur retten kann, indem man sie bis zur äußersten Spitze treibt. Koste es, was es wolle.
    Ich kann nicht schlafen, daher das gewundene Philosophieren.
    Als wollte ich eine abheilende Wunde wieder aufkratzen, wende ich den Kopf und gucke auf den Wecker neben meinem Bett. 3.02 Uhr. Wie Sie wissen, war mein Schlafrhythmus von Nacht zu Nacht besser geworden — bis zu der Nacht nach dem Tag, als Dina ging. Eine Hälfte dieser Nacht verbrachte ich mit dem inneren Disput, was ich tun sollte, und die andere damit, den Schlaf bewußt abzuwehren, meine kindische Trotzreaktion auf den offenkundigen »Erfolg« von Alison Randolphs Hypnotherapie. Seither ist der Schlaf immer noch leichter gekommen als vorher, aber manchmal fand ich mich doch am andern Ufer wieder und sehnte mich verzweifelt danach, daß die sanfte Schwere von Dinas Kopf auf meiner Schulter mich hinüberträgt.
    Aber heute nacht ist es nicht so. Es ist nicht mal die Schlaflosigkeit, wie ich sie von früher kannte, und im Laufe der Jahre habe ich sie weiß Gott gut kennengelernt. Denn eins war die alte Sorte Schlaflosigkeit nicht: von Schuldgefühlen oder schrecklichen Geheimnissen ausgelöst. So was verstehen nur Idioten unter Schlaflosigkeit, dieselben, die einem mit ihrem »Haben Sie’s schon mit Baldrian probiert?« kommen. Wenn diese Kategorie Leute hört, daß man Schlafschwierigkeiten hat, folgt auf dem Fuß die Frage: »Liegt dir was auf der Seele?« Nein. Unter der Seele kann einem was liegen, durch sie kann was blitzen, und innendrin brütet sie vielleicht wie Spinneneier urbane Mythen aus: Aber wenn einem was auf der Seele liegt, etwas Bestimmtes, was man getan hat, und weswegen man sich schuldig fühlt — die Sorte Nichtschlafenkönnen fällt nicht in die Rubrik Schlaflosigkeit. Denn, letzten Endes und am Ende des Tags, oder vielmehr der Nacht, kann man den Kopf leicht davon frei kriegen. Man braucht bloß die Ursache aus dem Weg räumen, bloß hingehen und die Zeitbombe unter dem Auto entfernen.
    Es sei denn, sie tickt schon.
    Zwei Stunden, dreiunddreißig Minuten und zwei Wochen später. Die Dinge haben sich nicht ganz so entwickelt, wie ich erwartet hätte, außer daß ich immer noch wach bin um diese Zeit. Ich dachte, Nick würde schnurstracks zu Ben und Alice stürmen und reinen Tisch machen — er wirkte so motiviert, so angeknipst, als ich ging. Drei Tage verbrachte ich in der Überzeugung, beim nächsten Telefonklingeln wäre Alice am Apparat, in Tränen aufgelöst und bestimmt auf der Suche nach einer Bleibe. Ich sah mich schon, wie ich ihr ruhig und geduldig zuhörte, während sie mir die ganze Geschichte erzählt — wie Nick über Ben und diese Fran-Geschichte tobte, Ben es abstritt, und sie ihm glaubte, die Sache als typisches Hirngespinst Nicks abtat, wie ihr aber allmählich Zweifel kamen, sie die Auslassungen in Bens Geschichte hörte und das schlechte Gewissen in seinen Augen sah. Und jetzt wisse sie nicht mehr ein noch aus: Und dann, endlich, fange ich zu reden an.
    Aber nichts dergleichen. Vor ein paar Tagen habe ich die beiden gesehen, und sie waren so unverschämt glücklich wie nie, das Sandpapier von Bens religiösem Tick, das sich eine Weile zwischen ihnen gerieben hatte, glatt wie Seide. Und die einzige Verkrampft-heit in der Luft war nicht zwischen den beiden, sondern zwischen ihnen und mir, denn keiner traute sich, Dina zu erwähnen. Bekümmert kehrte ich nach Klein Venedig zurück. Ich wollte sehen, ob ich Nick nicht ein bißchen fester anschubsen konnte -vielleicht, sagte ich mir, ist wieder sein Kurzzeitgedächtnisverlust schuld, und er muß bloß noch mal erinnert werden —, aber das Boot war verschwunden. Keine Spur mehr davon. Ich sprach mit einigen seiner Nachbarn, aber all die nichtvietnamesischen Boat-people erinnerten sich nicht mal an die Wanderlust, nur ein Hausbootbewohner ungefähr fünfhundert Meter weiter den Kanal rauf, ein
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