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99 Särge: Roman (German Edition)

99 Särge: Roman (German Edition)

Titel: 99 Särge: Roman (German Edition)
Autoren: Xiaolong Qiu
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Auch er leerte seine Schale. »Jedenfalls konnte ich an jenem Abend nicht einschlafen und spielte immer wieder die Ereignisse in der Nacht von Zhous Tod durch, so wie der Hotelangestellte sie geschildert hat. Da ist mir plötzlich etwas aufgefallen. Als ich in mein Hotelzimmer in Shaoxing kam, war die Bettdecke bereits zurückgeschlagen, und auf dem Kopfkissen lag als Gute-Nacht-Gruß ein Stück Schokolade.«
    »In der Suite eines Fünf-Sterne-Hotels ist das nichts Ungewöhnliches. Hat das etwas mit der Aussage des Angestellten zu tun?«
    »Ja, das hat es. Jiang verließ angeblich am Montagnachmittag das Hotel, um an einer wichtigen Sitzung teilzunehmen, und verbrachte die Nacht zu Hause. Ich habe das überprüft. Doch laut Aussage des Etagenkellners waren sowohl Liu als auch Jiang auf ihren Zimmern, als er das Bett für die Nacht vorbereiten wollte.
    Normalerweise fragt ein Angestellter in einem solchen Fall, ob der Gast diesen Service wünscht. Ist er nicht da, so tut er einfach seine Pflicht. Dasselbe hat das Zimmermädchen in meinem Hotel in Shaoxing getan. An jenem Abend aber war der Gast offenbar anwesend, denn er rief durch die geschlossene Tür, dass kein Zimmerservice nötig sei. So jedenfalls stellt es der Etagenkellner dar. Mit anderen Worten: Es muss jemand anderer in Jiangs Zimmer gewesen sein, als dort geklopft wurde.
    Fragt sich, wer und weshalb. Es gab da etwas, das wir vom Beginn der Ermittlungen an für selbstverständlich hielten, und zwar, dass Liu und Jiang als ausführende Beamte des shuang-gui über jeden Zweifel erhaben seien. Jiang wurde zudem aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschlossen, weil er zum Tatzeitpunkt nicht im Hotel war und ein solides Alibi hatte. Und Liu ist ein schwacher, alter Mann, dem man eine solche Tat schon körperlich nicht zutraut. Das Gebäude B wurde außerdem gut bewacht. Jeder, der kam und ging, musste sich eintragen. Ferner ist auf dem Flur im dritten Stock eine Überwachungskamera installiert.
    Ich konnte mir Einsicht in die Einträge des Hotelregisters für Montag und Dienstag verschaffen. Zu meiner Überraschung hatte sich am Montagnachmittag ein gewisser Pan Xinhua eingetragen, der Jiang besuchen wollte. Ungefähr eine Stunde später hat Jiang das Hotel verlassen, aber es gibt keinen Vermerk, dass Pan das Gebäude wieder verlassen hat. Er könnte also in Jiangs Zimmer geblieben und derjenige gewesen sein, der dem Angestellten um Viertel nach sechs durch die Tür antwortete. Stunden später könnte er sich dann unbemerkt in Zhous Zimmer geschlichen haben, wo dieser wegen der Schlaftabletten fest schlief. Dann hat er ihn stranguliert und es so aussehen lassen, als habe Zhou sich an einem der Deckenbalken erhängt.
    Von derselben Quelle, die ich natürlich schützen muss, erhielt ich Zugang zu den fraglichen Bändern der Überwachungskamera. Auf dem Video sieht man Pan am Montagnachmittag den Flur im dritten Stock entlanggehen, es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, dass er das Hotel am selben Tag wieder verlassen hat. Aber am nächsten Tag, als helle Aufregung wegen Zhous Tod herrschte, sieht man ihn dann die Treppe hinuntergehen. In dem allgemeinen Chaos hat ihn offenbar niemand bemerkt …«
    »Jetzt muss ich Sie doch mit einer Frage unterbrechen, Chen. Ist er etwa die ganze Zeit über in Zhous Zimmer geblieben?«
    »Nein, das glaube ich nicht. Nach dem Mord an Zhou muss er sich irgendwo anders versteckt haben. Auf diesem Flur gab es mehrere freie Zimmer. Offenbar hat er dort bis zum nächsten Morgen gewartet und konnte nach Entdeckung der Leiche das Hotel verlassen, ohne sich ins Register eingetragen zu haben.«
    »Das ist ja unglaublich, Oberinspektor Chen. Gratuliere, Sie haben den Fall gelöst.«
    »Noch nicht ganz.«
    Wieder klopfte es.

26
    Die Tür öffnete sich, und die Bedienung trat mit einem großen Silbertablett ein.
    »Entschuldigen Sie die Störung. Hier kommt noch ein Extragang. Wir dachten, das könnte Ihnen schmecken.«
    Sie stellte vor Chen und Lianping einen weißen Teller mit einem zerlegten, aber lebensecht arrangierten gedämpften Blaukrebs ab. Dazu gab es eine Platte mit rohem, in Schnaps eingelegtem Krebsfleisch.
    »Bei uns hat die Flusskrebs-Saison noch nicht begonnen«, erklärte die Bedienung, »deshalb lassen wir lebende Blaukrebse aus Florida einfliegen. Bei unseren westlichen Gästen ist vor allem das rohe Krebsfleisch beliebt, wir servieren es nach Shaoxing-Art, in Maotai eingelegt. Das Fleisch wird beständig gekühlt, Sie
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