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99 Särge: Roman (German Edition)

99 Särge: Roman (German Edition)

Titel: 99 Särge: Roman (German Edition)
Autoren: Xiaolong Qiu
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zwei potenzielle Hinweise. Einmal seine Befragung des Hotelangestellten und dann seine Absicht, die Redaktion der Wenhui aufzusuchen. Lassen wir Letzteres vorerst beiseite, weil es zu unklar ist. Von der Befragung des Angestellten liegt mir eine Tonbandaufnahme vor, die ich wieder und wieder angehört habe, ohne auf etwas Bemerkenswertes zu stoßen.
    Soweit ich das beurteilen kann, war Zhou bereits zum Zeitpunkt seiner Internierung ein ›toter Tiger‹. Die Stadtregierung wollte nicht, dass die Bevölkerung Einzelheiten über Zhous Amtsführung erfuhr. Doch die Entlarvung eines weiteren korrupten Parteikaders ist im Sozialismus chinesischer Prägung keine Neuigkeit mehr im Internet, und Beweise für Zhous Bestechlichkeit kursierten ja bereits im Netz. Es muss also um etwas anderes gegangen sein, um etwas, dessen Enthüllung seine Vorgesetzten keinesfalls zulassen durften. Es muss sie in absolute Panik versetzt haben, als Wei ihnen auf die Schliche kam.«
    »Was könnte das gewesen sein?«
    »Ich würde gern noch einmal mit Jun, dem Hotelangestellten, sprechen, aber seit das Team der Pekinger Parteidisziplinarbehörde in der Villa Moller abgestiegen ist, darf ich mich dort nicht mehr blicken lassen. Weis Tod ist eine Lektion, die ich mir zu Herzen genommen habe. Jemand lauert da draußen in der Dunkelheit und beobachtet mich. Ich muss also vorsichtig sein und darf keine Aufmerksamkeit erregen.
    Mittlerweile bin ich anderen Hinweisen nachgegangen. Die Details will ich Ihnen ersparen. Weis Tod verbietet es mir, die Sache auf sich beruhen zu lassen, aber Fleißarbeit allein hilft auch nicht immer. Manchmal ist der Durchbruch ein purer Glücksfall. Ich bin Ihnen jedenfalls sehr dankbar für Ihre Mithilfe bei diesen schwierigen Ermittlungen, Lianping.«
    »Was meinen Sie damit, Chen?«
    »Sie haben mich mit den üblen Machenschaften auf dem Wohnungsmarkt vertraut gemacht. Ihre Kenntnisse und Kommentare über Widerstand und Enthüllungen in der Welt des Cyberspace haben mir ebenfalls geholfen. Aber es war die Bekanntschaft mit Melong, die mich wirklich weitergebracht hat, und Sie haben ihn mir vorgestellt.«
    »Melong?«
    »Ja. Seine Computerkenntnisse haben mich auf etwas hingewiesen, das ich bis dahin übersehen hatte. In Shaoxing kam dann der entscheidende Durchbruch, der mich selbst überrascht hat.«
    »Ich kann Ihnen schon wieder nicht folgen, Chen«, sagte sie. »Sie sind doch wegen des Literaturfestivals nach Shaoxing gekommen.«
    »Ja, aber auf Ihre Anregung hin, und es hat mich an etwas erinnert, das ich in Zhous Akte beinahe übersehen hätte. Zhou ist in Shaoxing geboren und kam erst im Alter von sieben Jahren nach Shanghai. Lange Zeit war er nicht in seine Geburtsstadt zurückgekehrt, nicht ein einziges Mal. Letztes Jahr jedoch ist er kurz hintereinander zweimal hingefahren. Das war ungewöhnlich für einen vielbeschäftigten Beamten wie Zhou. Also beschloss ich, nach Shaoxing zu fahren. Ich möchte Ihnen noch einmal für den Vorschlag und Ihre Gesellschaft dort danken, andernfalls wäre ich womöglich gar nicht gefahren.
    In Shaoxing habe ich dann mit viel Glück eine Person gefunden, die Zhou nahestand, und dank der Information von Melong konnte ich ihr einen wichtigen Hinweis entlocken.«
    »Aber … wer war das denn?«, fragte sie, und dann fiel ihr ein: »Sie erwähnten eine kleine … jetzt erinnere ich mich, dass Sie sich am Vormittag mit ihr getroffen haben.«
    »Sie werden verstehen, dass ich auch hier einiges auslassen muss.« Chen goss ihr Reiswein nach. »Haben Sie sich denn niemals gefragt, warum das Team der Stadtregierung und die Beamten der Shanghaier Parteidisziplinarbehörde, die ja ursprünglich wegen eines Korruptionsfalls ermittelt hatten, nach Zhous Tod weiter im Hotel geblieben sind? Das gilt besonders für Jiang, der ständig dort war, obwohl er als Sekretär von Qiangyu doch alle Hände voll zu tun hat. Jiang war es auch, der den Abschluss des Falls verzögert hat, obwohl der Partei doch daran gelegen sein müsste, Zhous Tod als Selbstmord darzustellen.
    Gleichzeitig hat er sich immer wieder auf dem Revier nach dem Stand der polizeilichen Ermittlungen erkundigt. Ich war überzeugt, dass er aus mir unbekannten, für ihn und seine Leute aber sehr wichtigen Gründen im Hotel geblieben sein musste, selbst nachdem das Pekinger Team dort aufgetaucht war.
    Leider sind mir die Zusammenhänge erst nach dem Ausflug nach Shaoxing klar geworden, als ich erfuhr, warum das Shanghaier Team der
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