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99 Särge: Roman (German Edition)

99 Särge: Roman (German Edition)

Titel: 99 Särge: Roman (German Edition)
Autoren: Xiaolong Qiu
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letzte Flasche.« Kaum hatte sie das Siegel erbrochen und den Korken entfernt, als ein berauschender Duft das Zimmer erfüllte. Geschickt goss sie den Reiswein in die zierlichen weißen Porzellanschälchen.
    »Wenn Sie den Knopf dort drüben an der Wand drücken, leuchtet draußen an der Tür ein rotes Licht auf. Es funktioniert wie das ›Bitte nicht stören‹-Schild in einem Hotel. Wenn Sie die warmen Gerichte serviert haben möchten, drücken Sie einfach auf den Knopf darunter«, erklärte die Bedienung, dann verbeugte sie sich graziös und zog die Tür hinter sich zu.
    Chen blickte in die bernsteinfarbene Flüssigkeit in seiner Schale und sagte: »Auf dem Land ist es Brauch, dass die Familie einen Tonkrug mit Reiswein eingräbt, wenn eine Tochter geboren wird. Viele Jahre später, am Tag ihrer Hochzeit, wird er dann wieder ausgegraben. Das ist etwas ganz Besonderes.«
    »Ja, achtzehn Jahre alten Wein trinkt man nicht alle Tage.«
    »Betrachten Sie es als Entschuldigung für das entgangene Abendessen auf dem Boot«, sagte er und leerte seine Schale.
    »Das dürfen Sie nicht sagen. Ich bin diejenige, die sich entschuldigen muss. Aber lassen Sie uns zu dem zurückkehren, was wir besprochen haben, bevor die Bedienung kam.«
    »Ja, Weis Pläne am Tag seines Unfalls. Ich kannte sie nicht, aber irgendjemand muss davon gewusst haben. Ich wollte sein Handy überprüfen lassen, aber am Unfallort wurde keines gefunden. Es hat mich Tage gekostet, Aufzeichnungen über die Telefongespräche zu bekommen, die er an jenem Morgen geführt hat. Schließlich stellte sich heraus, dass er Parteisekretär Li tatsächlich erzählt hat, was er vorhatte. Er sagte, dass mit der Aussage des Hotelangestellten etwas nicht stimme und er noch einmal nachhaken wolle. Li wusste also, dass Wei zum Hotel und anschließend zum Redaktionsgebäude der Wenhui gehen wollte.«
    »Er wollte zur Wenhui ? Aber wieso?«
    »Seine Frau hat mir erzählt, dass Wei sie gebeten hat, sich das Bild von Zhou in der Zeitung genau anzusehen. Das Foto war so klein und hatte eine so schlechte Auflösung, dass es unmöglich war, darauf die Zigarettenmarke zu erkennen. Vielleicht hatte er sich mit jemandem in der Redaktion verabredet. Möglicherweise sogar mit Ihnen.«
    »Mit mir?«
    »Er hat das bei seinem Anruf nicht erwähnt, es wäre auch denkbar, dass er Ihren Kollegen sprechen wollte, der die Kriminalberichterstattung macht.«
    »Ja, das wäre möglich«, erwiderte sie nachdenklich. »Wollen Sie damit sagen, dass Parteisekretär Li …«
    »Im Moment bin ich eher geneigt anzunehmen, dass Li nicht aktiv an einer Verschwörung beteiligt war. Dennoch könnte er mit einem Vorgesetzten über Weis Pläne gesprochen haben, ohne sich über die Folgen im Klaren gewesen zu sein.«
    »Mit einem Vorgesetzten? Wer könnte das sein?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht Jiang oder jemand anderes von der Stadtregierung. Das würde auch erklären, warum Li darauf besteht, dass Wei schlichtweg bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, denn genauere Untersuchungen der Todesumstände hätten ihn womöglich zum Verdächtigen gemacht«, erklärte Chen und zerbrach einen der knusprig frittierten Reisfeldaale. »Jedenfalls muss Wei die Leute mit seinen Ermittlungen nervös gemacht haben. Deshalb wollte man ihn ausschalten. Das heißt aber, dass inzwischen auch ich an einem Punkt angelangt bin, wo es kein Zurück mehr gibt.«
    »Aber wieso denn? Sie fungieren doch nur als Berater.«
    »Ich fühle mich für seinen Tod verantwortlich. Ich wollte Wei freie Hand bei seinen Ermittlungen lassen und habe ihm gesagt, er solle nach Gutdünken handeln, ohne dass ich mich nach seinen Plänen erkundigt habe. Und genau das hat er getan, obwohl es bei diesem Fall ein paar mächtige Hintermänner gibt, denen man besser nicht auf die Füße tritt. Es gab eine Kommunikationslücke zwischen uns, dann war ich das Wochenende über krank. Und am darauffolgenden Montag starb er bei dem angeblichen Verkehrsunfall.
    Weis Tod, so kurz nach dem von Zhou, hat neues Licht auf den Fall geworfen. Wenn Zhou tatsächlich in einem gutbewachten Hotel aus unbekannten Gründen ermordet worden ist und Wei der Sache auf die Spur gekommen war, musste natürlich auch er aus dem Weg geräumt werden. Um seinen Tod als Unfall erscheinen zu lassen, bedurfte es genauer Planung und einiger Helfer. Das legt nahe, dass einflussreiche Personen im Spiel waren.
    Das Gespräch, das Wei an jenem Morgen mit Parteisekretär Li geführt hat, enthält
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