Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
900 Großmütter Band 1

900 Großmütter Band 1

Titel: 900 Großmütter Band 1
Autoren: R. A. Hrsg Lafferty
Vom Netzwerk:
Großmüttern und den vielberedeten lebenden Puppen auf sich hatte. Er würde herausfinden, was die Alten machten, wenn sie nicht starben, und würde herausfinden, wie die ersten geboren worden waren. Was seine Zudringlichkeit anlangte, so zählte er auf die angeborene Höflichkeit der Proavitoi.
    Nokomas Haus stand wie die anderen auf der Kuppe eines großen, flachen Hügels, der Akropolis von Proavitus. Es waren lauter Lehmhäuser, aber kunstvoll gebaut, und sie sahen aus, als ob sie direkt aus dem Hügel herauswüchsen und ein Teil davon seien.
    Ceran ging die gewundenen ansteigenden Pfade aus flachen Steinplatten hinan und betrat das Haus, das Nokoma ihm früher einmal gezeigt hatte. Er trat verstohlen und leise ein, aber er stieß auf eine der neunhundert Großmütter – doch das war eine, vor der man keine Heimlichkeiten zu haben brauchte.
    Die Großmutter war klein; sie saß in einem Sessel und blickte ihn lächelnd an. Sie unterhielten sich ohne große Schwierigkeiten, wenn es auch nicht so mühelos ging wie bei Nokoma, die Ceran in seiner eigenen Sprache auf halbem Wege entgegenkommen konnte. Auf ihren Ruf hin trat noch ein Großvater herzu, der Ceran ebenfalls anlächelte. Diese beiden Alten waren ein bißchen kleiner als die Proavitoi in aktiven Jahren. Sie waren freundlich und heiter-gelassen. Über der ganzen Szene hing eine Atmosphäre, die schon beinahe ein Duft war – ganz angenehm, schläfrig, erinnerungsträchtig, fast wehmütig.
    »Gibt es noch Altere als euch?« fragte Ceran ernst und eindringlich.
    »So viele, so viele, wer kann wissen, wie viele!« sagte die Großmutter. Sie rief noch andere Großmütter herbei; die waren noch älter und kleiner als sie selbst, nur halb so groß wie die aktiven Proavitoi – winzig, verschlafen, lächelnd.
    Ceran wußte jetzt, daß die Proavitoi keine Masken trugen. Je älter sie waren, umso mehr waren ihre Züge von Charakter und Interesse geprägt. Nur bei den noch unausgereiften aktiven Proavitoi konnte man derartige Zweifel hegen. Keine Maske konnte soviel ruhige, lächelnde Altersweisheit ausstrahlen. Diese seltsame gewebeartige Struktur war ihr wirkliches Antlitz.
    So alt und freundlich, so schwach und schläfrig sie waren, es mußte noch ein Dutzend älterer Generationen geben, bis hinab zu den urältesten und winzigsten.
    »Wie alt sind die Ältesten?« fragte Ceran die erste Großmutter.
    »Wir sagen, daß alle gleich alt sind, weil wir alle unvergänglich sind«, sagte die Großmutter. »Es stimmt zwar nicht, daß wir alle gleich alt sind, aber es wäre taktlos zu fragen, wie alt einer ist.«
    »Du weißt nicht, was ein Hummer ist«, sprach Ceran, vor Aufregung zitternd, »aber das ist ein Geschöpf, dem es nichts ausmacht, wenn es gekocht wird, solange das Kochwasser ganz langsam erhitzt wird. Der Hummer bleibt dabei ganz ruhig, denn er weiß nicht, von welchem Punkt an die Hitze gefährlich wird. Mit mir ist es jetzt ebenso – das gradweise Kochen meine ich. Ich gleite bei euren Erzählungen ganz allmählich von einem Grad zum anderen hinüber, ohne daß meine Glaubensfähigkeit allzusehr strapaziert wird und Alarm schlägt. Ich bin in Gefahr, einfach alles über euch zu glauben, solange es mir in kleinen Dosen vorgesetzt wird – und so wird es ja auch kommen. Daß ihr hier seid, und daß ihr so seid wie ihr seid, glaube ich, weil ich euch sehen und berühren kann – aus keinem anderen Grunde. Also, ich laß mich lieber kochen wie einen Hummer, als daß ich jetzt noch einen Rückzieher mache. Gibt es noch Altere als euch, die ihr hier seid?«
    Die erste Großmutter winkte Ceran, er solle ihr folgen. Sie gingen eine Rampe hinunter und den Flur entlang zum älteren Teil des Hauses, der schon unterm Erdboden hegen mußte.
    Lebende Puppen! Da waren sie, reihenweise auf Regalen, und saßen auf kleinen Stühlchen in ihren Nischen. Tatsächlich so groß wie Puppen, mehrere hundert.
    Viele waren beim Eintreten der beiden aufgewacht. Andere wurden wach, wenn man sie ansprach oder anrührte. Sie waren so unglaublich alt, aber sie blickten bewußt und orientiert um sich. Sie lächelten und streckten sich schläfrig, aber nicht wie Menschen, sondern wie sehr alte Hundewelpen.
    Ceran sprach mit ihnen, und man verstand sich überraschend gut.
    Hummer, du Hummer, sagte Ceran zu sich selbst, die Wassertemperatur hat den Gefahrenpunkt überschritten, und du merkst den Unterschied kaum. Wenn du jetzt und hier deinen Sinnen traust, dann wirst du in deiner eigenen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher