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80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

Titel: 80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste
Autoren: Martin Clauß
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Amsterdam zurückkehren … auf dem Seeweg, verstand sich, denn das war Inhalt der Wette gewesen.
    Vierundsiebzig Jahre waren genug, um die noch kaum erschlossene Ostküste ebenso kennen zu lernen wie die dicht besiedelte Westküste. Im September des Jahres 1872 weilte er wieder in New York, und eines Tages verspürte er Heimweh nach Europa, und es zog ihn in den Hafen. Vielleicht hatte dieses plötzliche Sehnen nach der Heimat etwas mit Jules Verne zu tun. Der Roman „In 80 Tagen um die Welt“ war 1872 erschienen, und er verspürte große Lust, das Europa, das Verne in seinem Buch beschrieben hatte, mit eigenen Augen zu sehen.
    Außerdem hatte er seit vielen Jahren einmal wieder an Falkengrund gedacht. Sein Wissen über die Geschichte des ehemaligen Jagdschlosses war löchrig, und auch wenn es zu spät war, um Baron Lorenz von Adlerbrunn persönlich kennen zu lernen, so konnte er doch aufschlussreiche Einblicke in die Gründung der Schule durch den Illusionisten Konrad Winkheim gewinnen, wenn er jetzt nach Europa zurückkehrte.
    Sir Darren hatte sich als Gelehrter in den unterschiedlichsten Fachrichtungen betätigt und im Laufe der Jahrzehnte ein ordentliches Vermögen angesammelt. Allerdings war er nie sesshaft geworden, sondern hatte in Hotels und Mietwohnungen gelebt, war häufig weitergezogen, um möglichst viel zu sehen. Als er an diesem schönen Septembertag durch den New Yorker Hafen schlenderte, um Erkundigungen über eine Überfahrt in die Alte Welt einzuziehen, kam er an einem Schiff vorbei, dessen Name ihm bekannt war.
    Das Schiff war eine sogenannte Schonerbrigg, ein Segelschiff mit zwei Masten. Als er vorüberging, wurde es eben mit Fässern beladen, doch er nahm die Arbeiter kaum wahr, denn der Name, der am Rumpf stand, hypnotisierte ihn förmlich. Nachdem er auf dem Schiff des Fliegenden Holländers gefahren, in einen Mahlstrom am Südpol gerissen worden und dem Tod und seiner Gefährtin begegnet war, glaubte er, von nichts mehr erschüttert werden zu können.
    Doch da stand sie vor seiner Nase – die Mary Celeste, das berüchtigte Unglückschiff, das im Dezember 1872 unter unerklärlichen Umständen auf hoher See vorgefunden worden war, mit leichten Schäden nur, aber von der zehnköpfigen Besatzung verlassen. Das Rätsel um diesen Fund war bis ins 21. Jahrhundert nicht geklärt worden und würde niemals geklärt werden.
    Diese Mary Celeste stand nun im Hafen von New York, wenige Tage oder Stunden vor ihrer schicksalhaften Abfahrt nach Genua, und wer immer an Bord ging, würde ihr Geheimnis, über das dicke Bücher voller haltloser Mutmaßungen geschrieben worden waren, am eigenen Leib erfahren …

6
    Sir Darren war kein Dummkopf. Er wusste, dass er unter Umständen zusammen mit der Besatzung ums Leben kommen würde. Und er wollte sein Leben nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, nicht im Angesicht der hundertfünfzig Jahre, die noch vor ihm liegen mochten.
    Doch gleichzeitig erlaubte es ihm sein Intellekt nicht mehr, an Zufälle zu glauben. Dass er am Schiphol Airport den Anschluss nach London verpasst hatte, war ebenso wenig ein Zufall gewesen wie, dass er in Amsterdam auf den British Reformers Club gestoßen war. Der Fliegende Holländer, das Schiff aus Poes Geschichte, die Reise als „Ancient Mariner“ – all das waren Glieder in einer Kette gewesen. Und auch wenn er keine Gegenstände mehr bei sich hatte wie die Flasche, das Schreibzeug und die Armbrust, die als Schlüssel zu den einzelnen Stationen seiner Reise fungiert hatten, so war er doch letztlich noch immer unterwegs, um seine Wette zu erfüllen, und wenn er nun den Atlantik überquerte, dann gewiss nicht auf irgendeinem Schiff.
    Die Mary Celeste sollte es also sein.
    Warum auch nicht? Sie passte zu den anderen, rundete den illustren Reigen seiner Beförderungsmittel ab.
    Ein Geisterschiff wie die Libera Nos war sie nicht, natürlich nicht, denn auch er war schließlich kein Geist mehr. Sir Darren rief sich die Fakten ins Gedächtnis, die er über sie parat hatte: Früher hatte sie einmal anders geheißen, ja, „Amazon“ war ihr Name gewesen. Kurz nach ihrer Registrierung starb ihr erster Eigner, auf der Jungfernfahrt verfing sie sich in einem Fischwehr und wurde schwer beschädigt. Später gab es weitere Unfälle, Kollisionen, Strandungen und einen Brand an Bord. Irgendwann musste sie an ihren aktuellen Eigner verkauft und umbenannt worden sein. Am 7. September 1872 lief sie unter dem Namen „Mary Celeste“ in Richtung Genua
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