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80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

Titel: 80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste
Autoren: Martin Clauß
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aus, ihre Ladung: Fässer mit reinem Alkohol. Etwa zwei Monate später fand man sie mit gesetztem Focksegel auf einem ungewöhnlichen Kurs treiben. Der Kapitän eines vorüberfahrenden Schiffes setzte ein Boot aus und ließ die Mary Celeste untersuchen. Sie war offenbar von der Crew im Beiboot verlassen worden, befand sich aber in gutem Zustand. Der Kompass war beschädigt, zwei Ladeluken und eines der Bullaugen geöffnet. Eine Kabine war durchnässt, im Frachtraum schwappte etwas Wasser, und einige der Alkoholfässer waren ausgelaufen. Die Seeleute hatten ihre persönliche Habe auf dem Schiff zurückgelassen, was für eine höchst überhastete Flucht sprach. Mitgenommen hatten sie den Sextanten, eine Uhr und einen Teil der Papiere. Das Logbuch fand man vor – der letzte Eintrag war knapp zwei Wochen alt und enthielt nichts von Interesse.
    Was war auf der Mary Celeste geschehen? Die Theorien, die man über die Jahre entwickelte, sprachen von Seebeben und anderen Katastrophen ebenso wie von einem Piratenangriff, einer Meuterei oder einem Betrug, den der Kapitän der Mary Celeste zusammen mit seinem Kollegen ausgeheckt hatte, der das treibende Schiff fand. Die fantasievolleren Vermutungen lauteten, ein Riesenkrake habe die Besatzung über Bord gezogen oder das Schiff sei ins Bermuda-Dreieck geraten – letzteres lag allerdings weitab vom Kurs.
    Sir Darren sprach mit einem der Arbeiter und wurde prompt zu Kapitän Briggs geführt, der sich an Bord aufhielt. Briggs war ein ruhiger Mann von siebenunddreißig Jahren und machte einen so vertrauenswürdigen Eindruck auf ihn, dass der Dozent die Möglichkeit, es mit einem Betrüger zu tun zu haben, spontan ausschloss. Als Sir Darren darum bat, als Passagier an Bord gehen zu dürfen, wollte Briggs dies nicht auf eigene Faust entscheiden, sondern zuerst den Eigner konsultieren. Am nächsten Tag erhielt der Brite dann die Erlaubnis, die Überfahrt mitzumachen, nachdem er einen exorbitant hohen Preis dafür geboten hatte. Obwohl Eigner und Kapitän nicht zu der Sorte Menschen gehörten, die man mit dem Etikett „käuflich“ bezeichnen würde, konnten sie der Finanzspritze nicht widerstehen. Der Eigner hatte viel Geld investiert, um das mehrfach verunfallte Schiff stabiler zu machen.
    Gegen Mittag des 7. September stach die Mary Celeste in See. Neben dem ersten und zweiten Maat und dem Koch (alle Amerikaner) und vier deutschen Matrosen war auch Briggs’ Frau und seine zweijährige Tochter an Bord. Sir Darren pflegte zwangsläufig engen Umgang mit der Familie und spielte sogar ein wenig mit dem Kleinkind. Das Bewusstsein, dass diese freundlichen Leute in weniger als zwei Monaten aller Wahrscheinlichkeit nach tot sein würden, schmerzte ihn.
    Während der Fahrt zeigte er sich neugierig, spielte den ängstlichen Passagier und befragte Briggs so häufig wie möglich über sich abzeichnende Gefahren und Probleme. Natürlich wusste der Kapitän von der traurigen Vorgeschichte der Mary Celeste, aber er war Optimist und vertraute darauf, dass der neue verkupferte Boden sie nahezu unbesiegbar machte.
    Bis Ende November verlief die Fahrt ohne Zwischenfälle. Wie der Kapitän selbst, so waren auch die Matrosen abstinente Burschen, die sich nicht an der Fracht vergriffen. Sir Darren war erstaunt, wie wenige Hände es brauchte, um die Mary Celeste sicher über den Ozean zu bringen. Die Crew des Schiffes, das ihn vom Südpol nach New York gebracht hatte, war riesig gewesen.
    Bis wenige Sekunden vor dem Unglück war nichts zu erahnen. Das Wetter hatte sich etwas verschlechtert, der Wind blies mit unangenehmer, aber unbedenklicher Heftigkeit. Dummerweise war der Kompass von einem ungeschickten Matrosen beschädigt worden, doch der Kapitän war zuversichtlich, dass er das Schiff dennoch sauber auf Kurs halten konnte. Er war die Ruhe selbst, während Sir Darren eine tiefe Nervosität befiel, je weiter die Zeit fortschritt. Das Schiff war am 5. Dezember leer aufgefunden worden …
    Am 28. November ereignete sich die Katastrophe. Es handelte sich nicht um ein Seebeben, und es war auch kein fremdes Schiff daran beteiligt.
    Am nächsten von den Theorien, die später aufgestellt werden würden, kam den Tatsachen die Geschichte von dem Riesenkraken.
    Als Sir Darren am Morgen des Tages seinen ersten Spaziergang über das Deck machte, erkannte er einen Schatten im Wasser. Einige Minuten lang redete sich ein, es könne sich um einen großen Fisch handeln, und er zögerte, die Crew darauf aufmerksam zu
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