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80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

Titel: 80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste
Autoren: Martin Clauß
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unserem Opfer, nein, unserem … Werkzeug eine Falle. Locken wir diesen ahnungslosen Menschen auf einen Weg, den wir ihm vorzeichnen. Seien wir kreativ, nutzen wir alle Ideen, die wir haben, lenken wir sein Leben auf eine Bahn, die ihn eines Tages zu dem Punkt führt, an dem er seine große Aufgabe erfüllen kann: den Fluch vom Fliegenden Holländer zu nehmen!“
    „Sir Darren, ich muss gestehen: Sie jagen mir beinahe ein wenig Angst ein. Wir müssen mit der Zeit spielen, mit der Kausalität, mit der Grenze von Leben und Tod. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, das macht mir eine Gänsehaut.“
    „Ich bitte Sie! Die Idee von der Wohltätigkeitsaktion stammt ganz und gar von Ihnen. Ich habe mir lediglich erlaubt, sie ein wenig zu elaborieren.“
    „Wer sind Sie, Sir Darren? Sie leben, aber Sie sind auch kein gewöhnlicher Mensch. Sie altern nicht.“ Er riss die Augen auf. „Sie selbst sind dieses Werkzeug, von dem Sie sprechen, nicht wahr?“
    „Ich war es in der Vergangenheit, und ich werde es in der Zukunft sein. Im Moment bin ich es noch nicht – und nicht mehr. Ich bin lediglich der Gründer des British Reformers Club.“
    „For the continental British“, sagte sein Gegenüber.
    „Amen“, schloss der Mann, der ihr Gespräch mit angehört hatte.

9
    In den folgenden Jahrzehnten arbeiteten sie den Plan aus. Sie konstruierten ein wildes, aber bis ins kleinste Detail durchdachtes Bauwerk, um das zu überlisten, was sie die Wirklichkeit nannten. Die ganze Zeit über war ihr Ziel, den Fluch von dem Fliegenden Holländer und seiner Crew zu nehmen, denn es war ihnen unerträglich, ihresgleichen bis in alle Ewigkeit unter der Tyrannei eines verlogenen, niederträchtigen Dämons leiden zu sehen. Die Bestie hatte Fokke und seine Männer überlistet, jetzt mussten sie den Dämon überlisten.
    Es würde nicht leicht sein. Um ihr Ziel zu erreichen, holten sie sich Anregungen in den unterschiedlichsten Werken der Literatur. Sie benutzten die Wette aus Vernes Roman, um dem ahnungslosen Sir Darren der Zukunft einen Grund für die Reise zu geben, den Strudel von Raum und Zeit aus Poes Erzählung, um ihn mitsamt seinem wütenden, rachelustigen Verfolger in die Vergangenheit zu schicken, und die Ballade vom alten Seemann, um ihm eine Waffe in die Hand zu geben, mit der er den Dämon schließlich besiegen konnte.
    Die meisten Ideen steuerte selbstverständlich Sir Darren bei. Doch konnte man so etwas Ideen nennen? Er hatte all das bereits erlebt.
    Sie diskutierten lange darüber, ob es eine Möglichkeit gab, die Besatzung der Mary Celeste zu retten, aber ihnen fiel keine ein. Noch länger diskutierten sie über die Durchführbarkeit ihres Plans, doch der Dozent setzte sich dafür ein, den Versuch zu wagen.
    Als der Tag Anfang Oktober kam, an dem Sir Darren in Amsterdam eintreffen würde, jener Sir Darren, der nichts von alldem wusste, begab sich der zweite Sir Darren in ein Zimmer im ersten Stock und überließ die Arbeit den anderen. Erst, als der perplexe Brite das Haus im Stadtteil Jordaan verlassen hatte und sich auf den Weg zum Hafen machte, kam er wieder herab und erkundigte sich bei den anderen, wie der wichtigste Schritt ihrer Aktion über die Bühne gegangen war.
    In diesen Momenten fühlte er, dass er wieder vollständig menschlich geworden war. Seine Unsterblichkeit, die nichts als eine Art zeitloser Schwebezustand gewesen war, war vorüber – von nun an würde er wieder altern. Bezogen auf sein Geburtsdatum würde das Abenteuer ihm kein längeres Leben einbringen. Doch er hatte viel gesehen, hatte mehr Generationen überdauert als jeder andere lebende Mensch.
    Hinter ihm lag ein verwickeltes, verfilztes Knäuel von Ereignissen, wie ein Computerprogramm, das so kompliziert war, dass es der Programmierer selbst schon kurz nach dem Schreiben nicht mehr verstand. Hatte Poe seine Geschichte tatsächlich auf Sir Darrens Flaschenpost aufgebaut? Hatte der opiumsüchtige Coleridge in einem seiner Drogenträume etwa telepathischen Kontakt zu Sir Darren gehabt, der den größten Teil dessen erlebte, was der Dichter daraufhin niederschrieb? Hatte Sir Darren die Mary Celeste auf dem Gewissen, oder war der Angriff des Dämons, der die Besatzung in den Tod getrieben hatte, quasi eine Neuinterpretation des rätselhaften Unglücks? Waren die wahren Ereignisse davon überschrieben worden wie eine Textdatei, die man überarbeitete?
    Je länger Sir Darren über die Sache nachdachte, desto mehr erinnerte sie ihn an
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