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80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

Titel: 80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste
Autoren: Martin Clauß
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schwamm er auf den Rumpf zu. Zunächst wusste er nicht, wie er es an Bord schaffen sollte, doch dann erkannte er ein Tau, das vom Deck herabhing und bis ins Wasser reichte. Nach einigen anstrengenden Versuchen hievte er sich über die Reling, vollkommen ausgebrannt und einer Ohnmacht nahe.
    Eine Stunde lang ruhte er sich aus, dann belud er das Beiboot mit seinem persönlichen Gepäck, Nahrung und Trinkwasser, nahm auch den Sextanten, eine Uhr und den größten Teil der Schiffspapiere mit, ganz wie es in den Büchern über die Mary Celeste geschrieben stand, und ließ das Boot zu Wasser. Sie konnten nicht mehr sehr weit vom Festland entfernt sein, und wenn die Strömung ihm keinen Strich durch die Rechnung machte, würde er in den nächsten Tagen eine von Europas oder Afrikas Küsten erreichen …

8
    Um die Weihnachtszeit des Jahres 1872 kam Sir Darren in Amsterdam an (sein Boot war in Nordfrankreich an Land angeschwemmt worden, in einer einsamen Gegend, wo niemand auf ihn aufmerksam wurde).
    Als er den British Reformers Club aufsuchen wollte, stellte er überrascht fest, dass es das Schild an der Eingangstür noch nicht gab. Er befragte einen Polizisten, und dieser teilte ihm mit, die Immobilie stehe schon lange leer und sei außerdem zu vermieten. Von Leuten aus der Straße erfuhr er, dass es in dem Haus spuke.
    Kurzerhand entschloss der Brite sich dazu, das Gebäude zu mieten, und so war es schließlich er selbst, der den British Reformers Club gründete und das Messingschild dort anbrachte. Er erinnerte sich noch genau an den Wortlaut: „For the continental British, established in 1872“, und natürlich hielt er sich daran.
    Im Laufe der Jahre logierte er viel in Amsterdam, doch er reiste auch durch Europa, besuchte Schloss Falkengrund im Schwarzwald und viele andere Orte, die ihn interessierten. Er hatte, wie die meisten Leute, zu tun, die beiden Weltkriege lebend zu überstehen. Und dann waren da noch … ja, die Geister …
    Einer bewohnte das Haus bereits, als der Dozent einzog – es war der junge Mann, der so gerne ins Kaminfeuer sah. Andere kamen im Laufe der Jahre hinzu. Sir Darren empfing sie gastfreundlich in dem Gebäude, das er nach einigen Jahren kaufte, doch er blieb zurückhaltend und verschlossen, ließ sie nicht an seinem Schicksal teilhaben. Immerhin war es ein britischer Club, und man unterschied sehr genau, worüber man sprach und worüber nicht. Und er hatte einen Grund, nicht zu viel zu verraten. Schließlich gab es da noch etwas in Erfahrung zu bringen: den Sinn und die Hintergründe seiner Reise um die Welt.
    Eines Abends – es war irgendwann zwischen den Weltkriegen, und Sir Darren weilte im Club – schnitt eines der gespenstischen Mitglieder ein reizvolles Thema an.
    „Ich habe gehört, viele Clubs engagieren sich neuerdings für einen guten Zweck. Sollte das unsere Institution nicht ebenso tun, einmal so gefragt?“ Es war der Mann, der die Landkarte studiert hatte, als Sir Darren vor langer Zeit (und dennoch in der Zukunft) dieses Haus zum ersten Mal betreten hatte.
    „Ein guter Zweck? Mein Lieber, sollen wir Gespenster etwa für ein Waisenheim sammeln oder einen Wohltätigkeitsbazar zugunsten der Kriegsversehrten veranstalten?“ Das Mitglied, das dies mit näselnder Ironie vorbrachte, war jenes, das seinerzeit eine Zeitung gelesen hatte – oder lesen würde.
    „Daran dachte ich gar nicht. Ich meine vielmehr, die Geisterwelt hat ihre eigenen Bedürftigen, ihre eigenen guten Zwecke.“
    „Es fällt mir zugegebenermaßen schwer, mir vorzustellen, wie diese aussehen sollen.“
    Sir Darren, der eben ein Buch aus dem Regal genommen hatte, schlug es auf und tat so, als würde er lesen. In Wirklichkeit lauschte er der reizvollen Unterhaltung.
    „Nicht allen geht es so gut wie uns. Wir spuken in gemütlichem Ambiente, mit Würde und ohne uns eine Blöße geben zu müssen. Wir haben sogar ein prasselndes Feuer im Kamin. Denken Sie an andere, die ein viel schwereres Los haben.“
    „Jeder, wie es ihm gebührt.“
    „Es gibt Gespenster, die von einem bösen Fluch dazu gezwungen werden, die garstigsten Dinge zu tun.“
    „Das hätten sie sich vorher überlegen müssen.“
    „Sie haben also rein gar nichts für die Wohltätigkeit übrig?“
    „Nennen Sie mir ein konkretes Beispiel, und ich werde Ihnen in der von Ihnen geforderten Deutlichkeit sagen, was ich davon halte!“
    „Nichts lieber als das! Nehmen wir etwa den sogenannten Fliegenden Holländer …“
    „Hören Sie auf!
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