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67 - Der Weg zum Glück 02 - Die Dorftyrannen

67 - Der Weg zum Glück 02 - Die Dorftyrannen

Titel: 67 - Der Weg zum Glück 02 - Die Dorftyrannen
Autoren: Karl May
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der Fex, indem er auf den alten Polstersessel deutete. „Es ist ein großes Glück, daß wir den Schlüssel haben. Ohne denselben hätten wir den Kasten aufbrechen müssen. Jetzt versuchen wir, ob's auch der richtige ist, ob er schließt.“
    Der alte Polsterstuhl hatte sehr niedrige Beine, dennoch aber saß man in demselben ebenso hoch wie in jedem anderen Stuhl, weil der Sitz ungewöhnlich dick war. Nämlich unterhalb des Polsterkissens gab es noch einen Kasten, welcher eine Schublade enthielt. Sie war gegenwärtig verschlossen. Ein Schlüsselloch war nicht zu sehen, aber rechts und links befanden sich je eine messingene Rosette, und als der Fex dieselben zu entfernen suchte, zeigte es sich, daß beide zur Seite zu schieben seien. Sobald dies geschehen war, kamen die unter ihnen verborgenen Schlüssellöcher zum Vorschein. Die Probe zeigte, daß der Schlüssel ganz genau in beide paßte. Der Fex schloß auf.
    Der Kasten schien einen gewichtigen Inhalt zu haben, denn er war nur sehr schwer herauszuziehen. Als der Fährmann ihn dann so weit wie möglich hervorgezogen hatte, zeigte sich der Inhalt. Dieser bestand in einer großen Menge versiegelter Geldrollen, deren Beschaffenheit und Schwere vermuten ließen, daß sie nicht Silber-, sondern Goldstücke enthielten. Der ganze Kasten war davon so gefüllt, daß kaum genug Platz blieb für eine sichtlich sehr alte Brieftasche, welche in einer Ecke obenauf lag.
    „Verteuxeli, muß das ein Geldl sein!“ sagte der Anton. „Wem gehört's aber?“
    „Natürlich dem Müller.“
    „Ich hab gemeint, daß du's mausen hast wollen.“
    „Was hätt'st da tan?“
    „Natürlich hätt ich das nicht gelitten.“
    „Brauchst mir gar nicht zuwider zu sein. Ein Spitzbuben bin ich schon lange nicht. Ich will hier alleweil nur suchen, ob ich was find, was mir gehört.“
    „Das könnt nur diese Brieftaschen sein.“
    „Anders nicht. Ich werd mal sehn, was sie enthält.“
    „So bin ich auch schon neugierig, es zu sehen. Mach sie doch mal auf.“
    Der Fex nahm die Brieftasche heraus und öffnete sie. Sie enthielt mehrere zusammengefaltete Papiere. Als er sie auseinanderschlug, zeigte es sich, daß sie in einer Sprache geschrieben waren, welche er nicht verstand. Sogar die Buchstaben waren ihm vollständig unbekannt. Es war weder die deutsche Kurrent- noch die gebräuchliche englische Schrift.
    „Was mag das sein?“ fragte der Anton.
    „Ja, wann ich das wüßt!“
    „Weißt, das sind lauter Dokumentume; das sind Zeugnisse oder amtliche Scheine.“
    „Warum denkst du das?“
    „Warum? Darum! Das mußt doch gleich schauen an den Siegellacken, die so schön petschafteriert sind. Das kommt ja immer nur dann vor, wann ein Gerichtsamten, oder ein Pfarramten, oder ein Stadtrichtern, oder ein Bezirkstierarzten eine Bescheinigung ausstellt und darunter das Siegelum dransetzt. Das hat hernach die richtige amtliche Kraft und Geltung. So was muß es sein!“
    „Das glaub ich halt selbst auch. Wann man aber nur wüßt, wer damit gemeint ist.“
    „Etwa du?“
    „Es ist doch am End die Möglichkeit.“
    „Hör, Fex, ich will dir mal was sagen. Du hast mir erzählt, daß du in diese Stuben gehen willst, um nachzuschauen, ob du nicht irgendwas finden tätst, aus dem du ersehen kannst, wer du eigentlich bist. Weiteres hast mir nix gesagt. Dennoch bin ich bereit gewesen, dir mitzuhelfen. Aber daß du etwa hier was mit fortnimmst, was dir nicht gehören tut, das leid ich freilich nicht.“
    „Das brauchst überhaupt gar nicht zu sagen. Ich bin ebenso ehrlich wie du und werd mich nimmer an fremder Leute Eigentum vergreifen.“
    „Nun gut. So schau hier richtig nach, und wannst die Schrift nicht lesen kannst, so kannst auch nicht beweisen, daß sie dir gehört; dann mußt sie hierliegen lassen.“
    „Freilich wohl!“
    „Aber schau, da ist doch noch ein zugemacht Fach in der Brieftaschen. Mach's mal auf!“
    Der Fex tat dies. Das Fach enthielt ein Kuvert aus starkem Papierkarton, in welchem – eine Photographie steckte. Sie stellte eine junge, wunderhübsche Frau vor, in der kleidsamen Tracht vornehmer Walachinnen. Das goldigblonde Haar und die himmelblauen Augen konnten zwar durch die Photographie nicht dargestellt werden, aber dennoch sah der Beschauer sofort, daß zwischen dieser Frau und dem Fex eine große Ähnlichkeit vorhanden sei.
    Das Bild machte einen ungeheuren Eindruck auf den Fex. Er drückte es an sein Herz, an seine Lippen und rief dabei mit innigster Inbrunst:
    „Mama,
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