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616 - Die Hoelle ist ueberall

Titel: 616 - Die Hoelle ist ueberall
Autoren: David Zurdo
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Daniel im Traum.
    Die Krankenschwester setzte ihren Rundgang fort, ohne etwas von Daniels Worten und seinem Traum sowie von der stetigen Beschleunigung seines Herzschlags zu ahnen.
     
    Es war eine prachtvolle rote Rose. Daniel lief ins Wasser, weil er zu ihr wollte. Der See war nicht tief. In knapp einem halben Meter Tie-fe konnte er im klaren Wasser den Grund sehen.
    Er befand sich bereits ganz nahe bei der Insel. Bald würde er seine Rose wieder in Händen halten. Doch dann trat eine Veränderung ein.
    Ein Schatten überzog den Himmel, der die Sonne eine Sekunde lang verdeckte. Dann sah alles aus wie zuvor. Doch so war es nicht. Daniel fiel auf, dass das Wasser plötzlich kalt wurde und dass der durchscheinende Spiegel der Oberfläche sich trübte und in einem düs-teren, bedrohlichen Blau verfärbte. Er beeilte sich, um so schnell wie möglich auf die Insel und zu seiner Rose zu gelangen, doch das Was-ser wurde immer eisiger. Es dauerte nicht lange, bis er Krämpfe in den Beinen bekam und jeder Schritt zur Qual wurde. Währenddessen setzten sich die schrecklichen Verwandlungen in seiner Umgebung fort. Die Blätter der Bäume verfärbten sich auf schwindelerregende, unheimliche Weise gelb und dann hellbraun. Schließlich fielen sie tot zu Boden, auf Gras, das bis vor einem Augenblick tiefgrün und lebendig gewesen, doch nunmehr blass und dem Tod geweiht war. Das Gleiche war den übrigen Pflanzen widerfahren, deren Stengel sich im Todeskampf krümmten. Die bereits abgestorbenen Blütenblätter fielen zu Boden.
    Die Musik, die Daniel zuvor Freude bereitet hatte, wich einem Grunzen und dann grässlichem, qualvollem Schmerzensgeheul. Die Luft war nun erfüllt von fauligem Gestank, und als dieser die Tiere erreichte … sie gebärdeten sich wie rasend. Sie begannen, einander aufzufressen. Nicht nur die Raubtiere ihre Beutetiere, sondern auch untereinander. Das kristallklare Wasser füllte sich mit Eingeweiden und ausgerissenen Gliedern. Tausende von Fischen trieben nun tot in der Flüssigkeit, die sich vom Blut so vieler Tiere rot verfärbt hatte.
    Daniel stöhnte entsetzt auf … Seine Rose. Er musste unbedingt zu ihr. Doch ihm fehlte die Kraft, weiterzugehen. Das Wasser war nun eisig. Etwas huschte zwischen seinen Beinen hindurch, etwas Glitschiges, das sich abstoßend anfühlte, so dass er eine Gänsehaut bekam.
    Am Horizont vollzog sich eine weitere Veränderung. Der strahlend blaue Himmel überzog sich mit Rot-und Gelbtönen, wie bei einem Brand. Daniel vernahm seltsame Geräusche, eine Art wildes Brausen, das er nicht einordnen konnte. Wie versteinert stand er mit-ten im See. Er wandte den Blick ganz kurz vom Horizont ab und spürte, dass ihm Tränen der Verzweiflung in die Augen traten. Um ihn herum lebte nichts mehr.
     
    »Nein, nein …«, stöhnte Daniel, immer noch träumend.
     
    Vom Horizont her drang ein unheilvoller Schrei zu ihm, und der Himmel färbte sich vollständig rot. Das Letzte, was starb, war seine Rose.
     
    »NEIIIIIIN!«
    Sein Schrei hallte auf der gesamten Station wider, und in der Überwachungszentrale wurde der Alarm ausgelöst. Nicht einmal zehn Sekunden später betraten hastig ein Arzt und zwei Krankenschwestern Daniels Zimmer. Der Herzüberwa-chungsmonitor zeigte jetzt dreihundertfünfzehn Schläge pro Minute an.
    »Dem zerspringt gleich das Herz!«, rief der Arzt. »Null Komma fünf Milligramm Esmolol pro Kilo. Im Schuss! Und irgendjemand soll diesen Alarm abstellen!«

4
    Boston
    »Guten Tag, Daniel.«
    Der alte Gärtner ignorierte die Begrüßung der Oberin. Weder drehte er sich zur Tür um, als sie das Zimmer betrat, noch blinzelte er auch nur, als sie die Vorhänge aufzog, damit ein wenig Licht ins Zimmer fiel. Er blieb einfach auf dem Bettrand sitzen, den Blick zu Boden gerichtet. So saß er den ganzen Tag, seit die Ärzte ihn aus dem Krankenhaus entlassen hatten. Er war außer Gefahr, litt aber unter beträchtlichen Folgeerscheinungen. Die Vinzentinerinnen hatten Daniel abgeholt und ihn so komfortabel wie möglich in einem beschei-denen Wohnheim für bedürftige Senioren untergebracht, das sie in Boston unterhielten. Es blieb ihnen nichts anderes üb-rig, denn das frühere Häuschen des Gärtners war bis auf die Grundmauern abgebrannt.
    Dieser Ausdruck von Verlassenheit und Teilnahmslosigkeit auf Daniels Gesicht konnte einem das Herz brechen. Zum Teil verdankte er diesen den Beruhigungsmitteln, die er ein-nahm, doch nicht ausschließlich … Da waren auch die furchtbaren
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