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616 - Die Hoelle ist ueberall

Titel: 616 - Die Hoelle ist ueberall
Autoren: David Zurdo
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über Daniel wachten. Dies spürte der Feuerwehrmann deutlich, als er nun eine alte Nonne an Daniels Bett sitzen sah, die liebevoll seine Hand hielt. Er blieb an der Schwelle stehen, weil er nicht stören wollte, und hörte die Nonne beten:
     
    Mitfühlendes Herz,
    Quelle des Lebens …
    Schenke den Gebrechlichen die Sicherheit Deiner Stärke,
    Den Kranken einen heilsamen Balsam,
    Und den Verzweifelten Frieden,
    Damit die, deren Verstand sie im Stich lässt, nichts als Liebe empfangen,
    Damit schwerverwundete Körper frei von Schmerzen werden,
    Damit die, die voller Kummer sind, bei Dir Trost finden,
    Damit den Leidenden Erleichterung zuteil wird,
    Und alle, die am Tor zur Ewigkeit stehen, die Herrlichkeit Deines Lichts schauen.
    Du, der Du bist die Ruhe im Sturm,
    Die Morgenröte in der Dunkelheit,
    Steh uns bei.
     
    Die Beklemmung, die der Feuerwehrmann schon seit seiner Ankunft im Krankenhaus verspürte, verstärkte sich noch. Er zögerte kurz, drehte um, ohne das Zimmer betreten zu ha-ben, und ging wieder. Sein Vater – ebenso wie Joseph Feuerwehrmann – starb auf einer Station für Verbrennungen, die dieser hier sehr ähnlich gewesen war. Er war ein starker Mann gewesen, voller Energie, doch mit dem letzten Atemzug hatte er kein Wort mehr hervorbringen können. Dieser Ort löste zu viele schmerzliche Erinnerungen aus, die ein einfacher Mann wie er nicht immer ertragen konnte. Vielleicht würde er es am nächsten Tag können. Das hoffte er, denn er schul-dete Daniel einen Besuch. Und er bewahrte noch immer den kleinen Blumentopf mit dem trockenen Stengel bei sich auf, den der Alte »seine Rose« genannt hatte.
     
    Am späten Abend machte die Nachtschwester, die auf der Intensivstation Wache hatte, ihre erste Runde. Bis jetzt war alles ruhig. Auch bei Daniel, der tief und fest schlief. Wie gewöhnlich überprüfte sie, ob das Beatmungsgerät korrekt arbeitete, maß auch den Blutdruck und überprüfte die Tropf-geschwindigkeit sowie neben anderen Vitalparametern die Sauerstoffsättigung im Blut. Keine Probleme. Die Daten lagen im Rahmen dessen, was zu erwarten war. Daniels Puls schlug ein wenig unregelmäßig, doch dies war unter den gegebenen Umständen nicht besorgniserregend.
    Die Krankenschwester betrachtete noch einige Sekunden lang das runzlige Gesicht des Alten und deckte ihn mit mütterlicher Geste zu. Sie musste nicht befürchten, dass der Patient auskühlte – Intensivstationen waren die reinsten Treib-häuser –, doch sicher war sicher. Nach einem letzten Blick verließ sie den Raum und setzte zufrieden ihren Rundgang fort. Deshalb sah sie auch nicht, dass die Herzfrequenz sich plötzlich erhöhte. Die grünen Zacken auf dem Monitor be-schleunigten sich. Nur ein wenig. Bis jetzt.
     
    Die Luft war klar. Die Brise trug einen unbeschreiblichen Duft her-bei, eine Mischung aus frischgemähtem Gras und dem Gebäck, das Schwester Theresa immer am Thanksgiving Day herstellte. So roch für Daniel das Glück. Er schloss die Augen und atmete den wunder-baren Duft tief ein. Da meinte er, eine Musik zu hören, die so schön war, dass er beinahe weinen musste. Er öffnete wieder die Augen, und die Musik wurde noch schöner. In alle Richtungen erstreckte sich eine endlose grüne Rasendecke. Weich. Leuchtend. Kuschelig. Hier und dort bildete sie kleine Hügel, auf denen sich Bäume und Blumen in leuchtenden Farben wiegten, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte. Bäche mit kristallklarem Wasser strömten zwischen ihnen da-hin, und um ihn herum versammelten sich alle Arten von Tieren, auch Wildtiere. Sie liefen frei herum, doch Daniel verspürte keine Angst, ebenso wenig wie selbst die schwächsten Tiere vor ihren natürlichen Feinden. Alles hieß ihn auf das liebevollste willkommen. Er konnte sich die ungeheure Freude, die ihn ergriff, nicht erklären. Sein Verstand war dafür zu unbeholfen und langsam. Doch er sagte sich, dies müsse das Paradies sein, von dem die Nonnen ihm immer er-zählt hatten. Es konnte gar nichts anderes sein.
    Daniel begab sich auf die weite grüne Wiese, gewiegt vom sanften Raunen des Windes und der schönen Musik. Das Gras passte sich seinen Schritten an. Ein Dutzend Schakale rückten sanft beiseite, damit er dem Lauf des Baches folgen konnte. Erging mühelos, als trüge ihn die Luft. So kam er zur Quelle des Baches. Das war ein See, von dem noch drei weitere Bäche abgingen. In der Mitte lag eine Insel. Und im Zentrum der Insel stand eine einzelne Blume.
     
    »Meine Rose«, murmelte
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