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5 1/2 Wochen

5 1/2 Wochen

Titel: 5 1/2 Wochen
Autoren: Birgit Kürten
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schon!“
    Wir verabschieden uns voneinander. „Wir sehen uns bestimmt morgen nochmal. Wir bleiben noch drei Tage! Bis dann!“ sagen Gabi und Franz-Josef. Bis dann? Kein „buen camino“? Hab ich es denn schon wieder vergessen? Ab jetzt brechen andere Zeiten an. „Tschüss, ihr zwei, macht’s gut“, kommt es nur schwer über meine Lippen.
    Die Kathedrale ist brechend voll. Ach, deshalb ist die Plaza so leer! Bis die Messe anfängt, bahne ich mir einen Weg durch die Menge und lasse das fast 100 Meter lange Mittelschiff des Gotteshauses auf mich wirken. Letztendlich haben meine Pilgerfreunde recht gehabt. Es ist schon eine besondere Atmosphäre und Erfahrung, mit hunderten anderen Wallfahrern zusammen still zu werden.
    Nach der Messe strömen die Menschen aus der Kathedrale auf die Plaza. Ich traue meinen Augen nicht: Die Hündin liegt noch immer auf ihrem Platz und wartet. Ich stehle mich davon, wie ein Schwerverbrecher. Aber ich kann sie nicht mitnehmen. Sie muss jetzt zusehen, dass sie ohne mich klar kommt.
    Ganz wichtig ist mir plötzlich die Compostela, die Urkunde, die vom Pilgerbüro für mich persönlich ausgestellt wird. Hoffentlich geht das um diese Uhrzeit noch. Ich habe Glück. Mit vielen anderen Pilgern stehe ich in einer langen Schlange und warte geduldig darauf, das Dokument endlich überreicht zu bekommen. Ich habe übrigens im Januar 2010 meinen Mädchennamen Kürten wieder angenommen. 2008 hieß ich noch Birgit Abitz. Dieser Moment ist viel zu unspektakulär. Ich hätte mir eine Blaskapelle gewünscht, die mich hinaus begleitet. Das haben sie nicht auf die Reihe gekriegt. Ich werde mich bei der Stadt darüber beschweren, wenn ich mal wieder vorbeikomme.
    Bei der Planung meiner Pilgerreise, hatte ich mir vorgenommen, bis „ans Ende der Welt“ nach Cabo Finisterre zu laufen. Das sind weitere 87 Kilometer, also für mich persönlich vier Etappen. Bereits bei Antritt der Reise war mir bewusst, dass 5 ½ Vi Wochen knapp werden könnten und habe das als Bonus im Hinterkopf behalten. Nachdem ich die Hälfte des Jakobswegs gelaufen war, wusste ich, dass das Ende der Welt für mich nur motorisiert zu erreichen sein würde. Das hat hingehauen! Mir bleibt tatsächlich noch ein ganzer Tag für Kap Finisterre. Mann, bin ich gut! Bei der Tourist-Info erkundige ich mich noch rasch, wann morgen ein Bus dorthin fährt und wo ich in Santiago auf die Schnelle ein freies Zimmer finden kann. Sie stellen direkt ein Busticket aus und nennen mir eine Unterkunft, die in unmittelbarer Nähe der Haltestelle ist. Na, dann will ich mich mal versöhnlich zeigen und die fehlende Blaskapelle großzügig vergessen. Vielen Dank für den prompten Service an einem müden Pilger.
    Ruddi wird das letzte Mal inkognito in einem Hostal übernachten. Ich gehe lieber kein Risiko ein. Mittlerweile streiken meine Füße wie lange nicht mehr und außerdem finde ich es mehr als angenehm, morgenfrüh quasi vom Reisebus vor der Tür abgeholt zu werden.
    Das Pensionszimmer ist sehr klein, aber soweit okay. Hier bleibe ich gleich zwei Nächte. Völlig erschöpft von der letzten Etappe mit ihren schwerwiegenden Eindrücken lasse ich mich ausgiebig von der Dusche berieseln. Ich glaube, mein Körper hat mitbekommen, dass in Zukunft nicht mehr täglich so viel von ihm gefordert wird und lässt sich komplett gehen. Es fällt mir unsagbar schwer, mich noch einmal aufzurappeln, um etwas essen zu gehen. Ich muss nämlich dafür außer Haus. Hier kann ich lediglich schlafen, sonst nichts.

    In Santiago ist alles anders, als auf dem Camino. Die typischen Pilgermenüs gibt es hier nicht. Dafür steht eine Riesenauswahl unterschiedlichster Lokale bereit. Unschlüssig schleppe ich mich durch die Gassen der wunderschönen Altstadt. Zum guten Schluss genehmige ich mir mutterseelenallein - und das ist auch gut so - ein Steak und zum Nachtisch ein Stück der traumhaften Santiago-Torte, die anscheinend stets nach dem gleichen Rezept gemacht wird.

Mittwoch, 21. Mai 2008
    Busreise nach Fisterra, (5132 Einw.), 8 m üdM
    zirka 100 km

    So werde ich also in Santiago de Compostela wach. Irgendetwas fehlt mir. Nein, ich meine nicht die Etappen, die unwiderruflich hinter mir liegen. Ich bin einfach immer noch nicht wirklich angekommen. Hängt es damit zusammen, dass das Kap in früher Zeit der Anlaufpunkt der Pilger war? Mir wird bewusst, dass mein persönliches absolutes Ziel Cabo Finisterre sein muss. Ich bin gespannt, welche Wirkung das Ende der Welt auf mich hat.
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