Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
5 1/2 Wochen

5 1/2 Wochen

Titel: 5 1/2 Wochen
Autoren: Birgit Kürten
Vom Netzwerk:
mich erkennen, reißt es sie aus den Sitzen. “Servus! Das ist ja ein Ding, dass wir im gleichen Bus sitzen! Alles klar bei Dir? Wo ist Ruddi?” Gut dass mein Hund einen ganz normalen Männernamen hat, sonst wüsste jetzt der ganze Bus samt Fahrer, dass ein Hund an Bord ist. “Pssst, der darf gar nicht hier sein - schläft in seiner Tasche hier!” Sie staunen über meine Nervenstärke, so ein Risiko einzugehen. Mir fällt der verlorene Wassernapf ein, aber leider haben sie ihn nicht gesehen, als sie die überfüllte Bar bei Santa Irene verlassen haben.
    Es fühlt sich vollkommen fremd, ja sogar falsch an, als sich der Bus in Bewegung setzt. Einen fahrbaren Untersatz zu nutzen, muss ich erst wieder schätzen lernen. Nach der kurvigen Stop-and-Go-Fahrt durch die Stadt, rauschen wir ganz sanft und gemütlich über eine sehr gute Straße in Richtung Atlantikküste. Endlich kann ich die Reise durch die wunderschöne Landschaft genießen.
    Gegen Mittag erreichen wir Fisterra. Es riecht so gut nach Meer. Am Hafen setze ich mich auf die Außenterrasse eines Lokals, um einen Café con leche zu trinken. Es hält mich aber nicht lange auf dem Stuhl. Ich habe Hummeln im Hintern. Normalerweise liegen um die Uhrzeit mindestens acht Kilometer hinter mir. Ich verdränge die Busfahrt hierher und mache mich an den drei bis vier Kilometer langen Anstieg nach Cabo Finisterre. Es geht von 8 auf 143 Meter über dem Meeresspiegel über eine Serpentine. Nur ab und zu kommt ein Auto vorbei. Der Atlantische Ozean ist fast die ganze Zeit zu sehen.
    Teilweise ist es megasteil. Aber als erfahrene Pilgerin weiß ich ja, wie ich das locker bewältigen kann. „Kleine Schritte, Birgit, mach ganz kleine Schritte“ beruhige ich mich - wie so oft in den letzten 5 ½ Wochen - selbst. Der Himmel wird immer bedrohlicher. Ein Unwetter ist im Anmarsch. Ich hoffe doch, dass es mir nicht meine Ankunft vermasselt. Ich will - nein! - ich muss auf dem berühmten Felsen sitzen, um mit dem Pilgern abschließen zu können. Wie ein Magnet zieht mich dieser Ort an. Ich nehme nichts anderes wahr, außer diesen Felsen und steuere direkt darauf zu.

    Eine deutsche Familie spricht mich an. Es sind Tochter und Eltern. Sie strahlen Glück und Zufriedenheit aus. An meinem Rucksack haben sie mich als Pilger entlarvt und wollen wissen, wie weit ich gelaufen bin. Ich unterhalte mich eine Weile mit ihnen. Das Kap läuft mir ja wohl nicht weg. Sie sind besonders daran interessiert, ob mir der Jakobsweg Erkenntnisse über mich selbst und mein Leben gebracht hat. Sie hören mir aufmerksam und gespannt zu. Sie danken mir sogar für meine Bereitschaft, mich ihnen mitzuteilen.
    Die Tochter ist wohl Mitte dreißig. Sie kann nicht richtig laufen, seit sie eine ernste Krankheit hatte. Eine Zeitlang war sie sogar an den Rollstuhl gefesselt. Von Woche zu Woche geht es ihr immer besser, worüber sich die Ärzte sehr wundern. Das Geheimnis ihrer stetigen Heilung ist ein inniger Wunsch der jungen Frau. Seit vielen Jahren schon fasziniert sie die Vorstellung, den Jakobsweg zu gehen. Als sie kurz davor war, diese Reise anzutreten, hielt die Krankheit sie ab. Heute ist ihr klar, dass es damals noch nicht der richtige Zeitpunkt war. Denn um ihren Traum des Pilgerns zu erfüllen, muss sie jetzt gesund werden. Sie macht Riesenfortschritte allein dadurch, dass sie sich ständig vorstellt, regelrecht fühlt, bereits auf dem Camino unterwegs zu sein, schaut sich Filme an, liest Bücher darüber, versetzt sich während regelmäßigen Meditationen mit voller Vorstellungskraft in die Situation des Pilgerns und genießt es bereits heute so, als wäre es real. Hierhin „an das Ende der Welt“ ist sie nun gereist, um das Gefühl des Angekommenseins in ihrer Imagination stärken zu können. Sie sagt: „Alles was Du in Gedanken mit viel Gefühl tust, kommt zwangsläufig in Dein Leben. Es kann nicht anders sein. Ich bin ganz sicher, dass ich bald auch real auf dem Weg bin.“ Diese Begegnung werde ich so schnell nicht vergessen. Ich wünsche dieser jungen Frau, dass alle ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Ich weiß, dass es möglich ist, wenn sie weiterhin fest daran glaubt.
    Der Felsen müsste wegen Überfüllung gesperrt werden. Zig Pilger sitzen und klettern hier oben rum. Von Ruhe keine Spur. Manche Pilger picknicken oder genehmigen sich ausgelassen ein oder mehr Bierchen. Urlauber klettern mit ihren Kindern auf dem Felsen herum. Es ist ein Kommen und Gehen. Das habe ich mir aber ganz anders
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher