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5 1/2 Wochen

5 1/2 Wochen

Titel: 5 1/2 Wochen
Autoren: Birgit Kürten
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fassungslos. Es dauert ein paar Sekunden, bis mir klar wird, wer da überglücklich, mich zu sehen, seine Arme ausbreitet. Ich bin unfähig mich auch nur einen Meter zu bewegen. Mit ungläubigem Gesicht kommt doch tatsächlich Gabi aus Aachen auf mich zugelaufen. Das gibt es doch gar nicht! Erst als sie mich an den Händen von der Mauer hochzieht, weiß ich, dass das alles wirklich passiert.
    Das ist also meine Überraschung, die der Camino am Ziel für jeden Pilger bereithält! Haargenau im richtigen Moment, hält und fängt mich ein Mensch auf, der ganz genau weiß, wie ich mich gerade fühle. Man muss es selbst erlebt haben, aber Pilgerfreundschaften sind unglaublich intensiv. Ganz kurze gemeinsame Zeit lässt fast familiäre Zusammengehörigkeit und Vertrautheit entstehen. Diese Umarmung werde ich mein Leben lang nicht vergessen. In Honto in der Herberge haben wir uns beim Wäscheaufhängen kennengelernt, danach noch zwei oder dreimal gesehen und dann bis eben aus den Augen verloren. Und genau in diesem Moment, wo ich hier eintrudele, ist sie zur Stelle, um mich aufzufangen. Sie und Franz-Josef sind schon seit drei Tagen hier und auch jeden Meter des Jakobswegs gelaufen. „Wo ist Dein Mann?“ In diesem Moment springt er herbei, wirbelt mich herum, jubelt und - von jetzt an ist der Redefluss gnadenlos - holt mich wieder auf die Erde zurück. Es tut so gut, mich mit den beiden auszutauschen.
    Der junge Radpilger wusste genau, warum er mich alleine gelassen hat. Im Nachhinein bin ich mehr als dankbar dafür. Die Minuten auf der Mauer haben meinen Abschluss des Jakobswegs gebildet. Gabi und Franz-Josef durften keine Sekunde früher auftauchen. Dann wären mir tatsächlich das letztendlich befreiende Weinen, das
    Glücksgefühl, alles schaffen zu können und das Loslassen des Caminos unwiderruflich entgangen. Und Gabis Umarmung wäre nicht die gleiche gewesen. Ich danke diesem Mann aus tiefstem Herzen.
    Dieses Wiedersehen ist mit keinem anderen in meinem Leben zu vergleichen. Die beiden sehen sich jeden Millimeter meines Schnurzels genau an. Sie finden es grandios, dass „fünf Kilo Hund“ fast 800 Kilometer in 5 ½ Wochen unbeschadet überstehen. Und sie machen mir klar, nachdem auch sie meine kaputte Schallplatte hören durften, dass ich nicht vergessen soll, auch auf mich stolz zu sein, es geschafft zu haben.

    Die Hündin zieht meinen Blick auf sich. Sie liegt immer noch friedlich auf demselben Platz, wie bei der Ankunft. Sie lässt mich nur einfach nicht aus den Augen. Klar ist, dass ich sie nicht mit ins Hotel nehmen kann und will. Ich spreche mit Franz-Josef und Gabi darüber. Ein Pilger, der das mitkriegt, weiß genau, wie man mit zugelaufenen Hunden umgeht. Er bückt sich, hebt einen Stein auf und... schneller, als ich es je für möglich gehalten hätte, spring ich dem Mann ins Kreuz und schrei ihn an: „Wag Dich nicht, das zu tun!“ „Anders wirst Du den Köter nicht los!“ Was ist das denn für einer?! Gabi und Franz-Josef sind mit mir entsetzt. Angeekelt zische ich dem Typ zu: „Dann bleibt er eben. Wie kann ein Mensch in der Lage sein, ein unschuldiges Tier mit Steinen zu bewerfen?“ Wir lassen keinen Zweifel daran, dass er von Sekunde an, Luft für uns ist.
    Wir verbringen ungefähr eine halbe Stunde zusammen vor der Kathedrale und meine Pilgerfreunde verlangen konsequent von mir, dass ich die Pilgermesse besuche, die gleich beginnt. Ich habe aber überhaupt kein Verlangen danach, in die Kathedrale zu gehen. Sie bleiben dabei: „Du musst! Wir lassen dich hier nicht weg, bevor Du in der Messe warst. Du würdest es Dein Leben lang bereuen, wenn Du es nicht tust. Du musst jetzt versprechen, dass Du da gleich reingehst! Wir passen solange auf Ruddi auf.“ Wild entschlossen nehmen sie ihn mir vom Arm.

    Bei so viel Durchsetzungskraft muss ich mich ergeben. Vielleicht haben sie ja Recht. Die Glocken rufen die Neuankömmlinge bereits zusammen. In aller Ruhe fange ich an, meinen Rucksack zu öffnen. „Was machst Du?“ „Wenn ich in die Pilgermesse gehe, dann ja wohl nicht ohne Ruddi! Er gehört da mindestens genauso rein wie ich!“ „Das kannst Du nicht bringen. Wenn er auffällt, fliegst Du im hohen
    Bogen aus der Kirche! Lass ihn bei uns, bitte!“ Woher sollen sie auch wissen, wie eng mein Hund und ich in den letzten Wochen zusammengewachsen sind. Perrito springt in sein Taschenbett, legt sich hin und zwinkert dem Paar aus Aachen beruhigend zu: „Mein Frauchen und ich machen das
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